die wahrheit: Der Homosexuelle Mann
… soll endlich von der Bildfläche verschwinden. Der das fordert, ist ein vergleichsweise junger Mann, Jahrgang 1971, heißt Philipp Gut und ist Feuilletonchef des rechtskonservativen Schweizer Wochenblatts Die Weltwoche.
Ordentlich draufhauen auf das "Glaubenssystem" der Homosexuellen durfte Gut im Juli dieses Jahres in seiner Zeitung. Die darauf reagierenden Empörungungswellen will sich nun Springers Welt
offenbar zu Nutze machen und druckte eine - auf deutsche Verhältnisse - frisierte Version des "Essays" in der vergangenen Woche noch einmal nach. Guts Grundthese bleibt erhalten: "Die Homosexualisierung der Gesellschaft erreicht Rekordwerte", die Homosexualität sei zu einer Art Religion geworden, ihre "penetrante Sichtbarkeit" müsse endlich gestoppt und "endlich wieder diskreter" behandelt werden.
Den Grund für seine drängende Polemik entblößt Gut im letzten Satz: "Man läuft ja auch sonst nicht dauernd mit offenem Hosenladen herum." Jeder sichtbare schwule Mann zwingt Gut also zum Blick aufs männliche Geschlechtsteil, besser lassen sich die eigenen verdrängten Wünsche kaum formulieren.
Aber warum fühlen sich die Macher der Welt aufgefordert, den ganz privaten Sexualnöten eines Schweizer Intellektuellen noch einmal Platz auf ihren Seiten einzuräumen? Wollte man - nach dem durchschlagenden Erfolg der rassistischen Sarrazin-Äußerungen - es mal mit einer anderen Minderheit versuchen? Oder einen "Diskurs" beleben, den es gar nicht gibt? Gar der "Meinungsfreiheit" wieder einmal zum Sieg verhelfen? Was treibt einen Thomas Schmid, dereinst Genosse von Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit beim "Revolutionären Kampf", heute als Chefredakteur der Welt an, dem Abdruck eines solch homophoben Pamphlets zuzustimmen? Oder welche Interessen beflügeln Andrea Seibel, Schmids Stellvertreterin, die ihr Handwerk mal bei der taz erlernte? Und weiß der oberste Springer-Konzernchef Mathias Döpfner, der noch 1995 auf seinem Posten als Wochenpost-Chefredakteur von der Schlagzeile "Ein Schwuler wird Kanzler" träumte, was in seinem "seriösen" Flaggschiff an schwulenfeindlichem Quatsch verbreitet wird? All die Genannten lassen es zu, dass homosexuelle Männer in einer Weise öffentlich beleidigt und verletzt werden, wie sie es in ihrem privaten Umfeld im Umgang mit ihren schwulen Freunden nie erlauben würden.
Ist es das Alter, das sie zu neuen, homophoben Ufern trägt? Oder nur eine Abneigung, die schon immer da war, sich aber jetzt erst nach oben traut? Am vergangenen Freitag brachte die Welt ihre Antworten darauf und publizierte die neuesten Forschungsergebnisse in Sachen Homophobie: "Doppelmoral, Ekel und Neid" lassen sich - kurz gefasst - demnach als Gründe für das Phänomen der Schwulenfeindlichkeit ausmachen. "Ekelgefühle", heißt es da, seien "bei konservativen Menschen grundsätzlich stärker ausgeprägt als bei politisch eher links stehenden". Ekelgefühle sind auf jeden Fall bei den Schwulen ausgeprägt, die die Gutsche Tirade gelesen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei