die wahrheit: Quälende Vergleiche
Bundeshaushalt: Wie hoch ist der Schuldenberg in Münzen gestapelt?
Die Verhandlung über den Bundeshaushalt 2010 und die höchste Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik geht heute in die letzte Runde. Es gilt einen Schuldenberg in Höhe von 80,2 Milliarden Euro zu bezwingen. Während im Bundestag noch heftig gestritten und diskutiert wird, steht FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke draußen vor dem Eingang des Bundestags. Er darf nicht an der Sitzung teilnehmen, sondern ist abkommandiert, für die Journalisten knackige Vergleiche über die gigantische Geldsumme zu finden.
Müde und mit eingefallenem Gesicht müht er sich ab: "80,2 Milliarden, das ist in 1-Euro-Münzen gestapelt so hoch wie der Eiffelturm." Ein Journalist fragt kritisch nach, der Vergleich erscheint ihm nicht passend. Fricke reagiert gereizt: "Na, dann legen Sie eben die 1-Euro-Münzen nebeneinander! Dann haben Sie die Strecke einmal um die Erde und zurück."
Eine Journalistin der BBC gibt sich mit der Antwort nicht zufrieden. Sie möchte wissen, ob der Schuldenberg in gestapelten 5-Pfund-Noten höher als der Big Ben ist. Fricke kämpft um seine Fassung. Weder verstehe er den Alleingang der Briten bei der Währung, noch wisse er, wie hoch der Big Ben sei, presst er unter mühsamer Beherrschung hervor. Es ist deutlich in sein Gesicht geschrieben: Fricke wünscht sich nichts mehr, als endlich mit seinen Kollegen im Warmen zu sitzen und bei einer Tasse Kaffee gemütlich über den Haushalt zu diskutieren. Bloß keine Zahlenvergleiche mehr.
Er hat Glück, denn in diesem Moment kommt die Ablöse. Bundesumweltminister Norbert Röttgen soll Fragen über die Endlagerung des riesigen Berges an Altlasten beantworten. Röttgen kommt gerade vom Nordic Walking, die Stöcke hält er noch in der Hand. Er weiß wie kein anderer, dass die Bezwingung solcher enormen Schuldenberge 100-prozentige körperliche Fitness erfordert. Röttgen gehört zu der Taskforce "Mountain Dew", die den Berg vermessen und vor allem die Eignung für spätere Verwendungszwecke analysieren soll.
Doch vielleicht war die Auswahl des Teams nicht ganz glücklich. "Ich war schon ein-, zweimal ganz oben. Die Kollegen haben sich nicht so richtig getraut. Otto hatte es angeblich im Rücken, deshalb musste er hier draußen die Fragen beantworten. Der Gabriel hats nur auf hundert Meter geschafft, dann war der Puls zu hoch und, nun ja, der Schäuble, der hat kein alpintaugliches Gefährt."
Sein spitzbübisches Grinsen lässt erkennen, dass Röttgen darüber nicht allzu traurig ist. Er selbst hat nämlich schon einen Plan für die Endlagerung des Schuldenberges entwickelt. "Erst wollten wir den ganzen Atommüll im Berg unterbringen, aber dann kam mir eine viel bessere Idee: Wintersport! Viel mehr Wintersportmöglichkeiten in Deutschland!", ruft Röttgen begeistert und fuchtelt dabei euphorisch mit seinen Nordic-Walking-Stöcken in der Luft herum.
Auf Nachfrage wird er konkreter und flüstert geheimnisvoll: "Niedersachsen als Gegengewicht zur Wintersportindustrie im Süden! Wir schütten mit dem Schuldenberg den Harz auf." Auf die kritische Anmerkung, dass die nötige ganzjährige Beschneiung weitere enorme Steuergelder aufbrauchen würde, entgegnet Röttgen strahlend: "Dafür nehmen wir einfach den politischen Schnee von gestern!"
Doch über diesen Vorschlag wird innerhalb der Taskforce kontrovers diskutiert. Schäuble, als "Head of Coordination" der Vermessungsaktion, verweist auf die Gletscherschmelze durch die geplante schrittweise Absenkung der Nettokreditverschuldung ab dem Jahr 2011: "Wir können auf dem Schuldenberg keine optimalen Wintersportmöglichkeiten garantieren, der schmilzt uns doch unter den Füßen weg." Aber Röttgen wäre nicht Umweltminister und passionierter Wintersportler, wenn er darauf angesprochen nicht eine Antwort parat hätte: "Gletscherschmelze am Schuldenberg wird nicht unser Problem sein. Ich bitte Sie, wir haben doch gerade die Überprüfung von Gorleben als Endlager für Atommüll wieder aufgenommen. Was meinen Sie, was das die nächsten Jahre kostet!" Gut, dass es in unserer Politik Visionäre wie Röttgen gibt.
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