die wahrheit: Im Jahre des Tigers: Liu Xiaobo muss raus, aber...
Aus aktuellem Anlass einmal mehr keine humoristische Betrachtung, sondern Klartext: Natürlich ist der Nobelpreis für Liu Xiaobo erst einmal zu begrüßen. Ein friedfertiger Mann...
... der ein Papier wie die "Charta 08" aufsetzt und dafür Unterschriften sammelt, ist kein Krimineller. Er gehört deshalb auch nicht eingesperrt. Und so ist es gut, dass das Nobelpreiskomitee die chinesische Regierung an diese Tatsachen erinnert.
Eine andere Frage ist allerdings, ob das, was Liu Xiaobo für China will, tatsächlich auch dem Frieden dient. Abstrakt gesehen ist die Einführung der Demokratie in China, wie Liu sie in seiner "Charta 08" fordert, eine gute Sache. Nur: Betrachten wir einmal die Länder, die vergleichbare Probleme wie China haben und die man in den letzten Jahren versuchte, nach westlichem Vorbild und mit massiver westlicher Unterstützung zu demokratisieren.
In keinem dieser Länder ging es der Bevölkerung nach diesen sogenannten "Farbenrevolutionen" besser. Im Gegenteil. In der Ukraine, in Georgien und Kirgistan entpuppten sich die "Demokraten" bald als ähnlich autokratische Herrscher wie ihre Vorgänger. In Georgien begann ein durchgedrehter Präsident einen Krieg, bei dem hunderte von Zivilisten starben. Und in Kirgistan kam es zu ethnischen Auseinandersetzungen, die bisher rund 2.000 Menschen das Leben kosteten.
Selbst die Korruption wurde in diesen Ländern keineswegs zurückgedrängt, sondern sie blieb entweder auf demselben Level wie zuvor oder stieg. In der Ukraine und in Kirgistan liegt heute der Korruptionsindex deutlich über dem Chinas. Auch wirtschaftlich konnten keine großen Fortschritte erzielt werden. In der Ukraine und in Kirgistan sank sogar der Lebensstandard in den letzten beiden Jahren.
Anders in China. Und so wundert es auch nicht, dass diejenigen, die die Nobelpreisverleihung an Liu Xiaobo uneingeschränkt bejubeln, zu seinem Wirtschaftsprogramm schweigen. In der "Charta 08" wird sowohl die Privatisierung sämtlicher Staatsbetriebe als auch die Abschaffung der staatlichen Monopole verlangt. Stattdessen plädiert man für eine völlig freie Marktwirtschaft. Dass damit gerade die Abschaffung jener Instrumente gefordert wird, denen China nicht nur einen Großteil seines Aufschwungs zu verdanken hat, sondern die es dem Land auch ermöglichten, die aktuelle Finanzkrise nahezu unbeschadet zu überstehen, wird dabei unterschlagen.
Noch gefährlicher ist die Forderung, den Bauern den Verkauf ihres privat bewirtschafteten Bodens zu erlauben. Da die ärmeren Bauern so binnen kürzester Zeit ihr Land an Spekulanten verlieren dürften, ist dieser Punkt nichts anderes als ein Armutsbeschaffungsprogramm, das Chinas Großstädten schnell Slums nach indischem Vorbild bescheren würde.
Darum: Liu Xiaobo muss raus aus dem Gefängnis! Doch sollte der Versuch unternommen werden, seine Forderungen kurzfristig zu realisieren - womöglich mithilfe westlicher Salondemokraten -, wäre das fatal, und das nicht nur für die Bewohner Chinas.
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