die wahrheit: Endstation Mondkroter
Ein sehr großer Mann von bürgerlich distinguiertem Aussehen steigt zu und setzt sich auf einen der wenigen freien Plätze im hinteren Teil der Straßenbahn. Kurz vor ...
... der übernächsten Haltestelle beginnt er plötzlich zu stöhnen, steht auf und legt sich der Länge nach in den Gang zwischen den Sitzreihen. Den befremdeten Mitpassagieren erklärt er: "Gleich gibt es eine Karambolage." Im nächsten Moment kracht es, und ein Ruck geht durch die Bahn, die nach einer Vollbremsung unsanft zum Stehen kommt.
Es hat tatsächlich einen Zusammenstoß mit einem Lieferwagen gegeben. Schwerelosigkeit ist die Folge, alle möglichen Gegenstände, auch Tiere und Menschen, schweben durch die Luft. Der Fahrer legt an seiner Konsole einen Hebel um, wodurch die Schwerelosigkeit augenblicklich aufgehoben wird. Zum Glück ist niemand verletzt.
Der prophetische Mann steht auf und klopft sich den Staub von der Kleidung. "Steigen Sie gefälligst aus", verlangt eine resolute ältere Dame von ihm, "Sie bringen Unglück!" Bevor der Beschuldigte vorbringen kann, wie sich alles verhält und woher er im Voraus von dem Zusammenstoß wusste, stellt er fest, dass er bei diesem in zwei Teile zerbrochen ist. Nun muss er sowieso aussteigen und sich irgendwo wieder zusammenkleben lassen. Ein zufällig anwesender Geistlicher fragt ihn: "Soll ich den Allmächtigen fragen, ob er etwas für Sie tun kann?" - "Danke", erwidert der Angesprochene, "bemühen Sie sich nicht."
Der Fahrer öffnet mittels der Fernsteuerung die Tür, und der Mann hüpft hinaus. Zum Ausgleich für den Ruck bei der Karambolage geht nun ein Aufatmen durch die Straßenbahn.
(An dieser Stelle möchte ich einen treuen Leser dieser Kolumne, Herrn Rauschtenberger, herzlich grüßen und bitten, doch weiterzulesen. Der Autor)
Da ich etwas Geld dafür bekomme, will ich, der ich dann ja wohl ebenfalls ausgestiegen sein muss, im Folgenden schildern, was dem in der Mitte durchgebrochenen Mann weiter geschieht. Er hat Glück, die nächste Klebestelle ist nicht weit von der Haltestelle entfernt. Ich will ihm dorthin folgen, doch da lese ich bei "Zeit-online" die unerhörte Überschrift "Komsomolz am Mondkroter". Das ist ja interessant! Unter zeit.de/1959/02/Komsomolz-am-Mondkroter können es alle nachlesen.
Nun ist der ganze Unsinn in der Straßenbahn vergessen und dieser komische Mann auch. Für mich muss es jetzt der Komsomolz am Mondkroter sein. Ich denke ihn mir walzenförmig, nichtptolemäisch, an der Seite ein wenig wie Käsekuchen. Ihm gefallen die Grillen am Mondkroter, wo Papst Pins heute sprechen wird. Ehrfürchtig erschauernd, lese ich bei "Zeit-online" etwas später diese Stelle: Papst Pins XII. war es, der gesagt hat: "Gott der Herr, der in das Herz der Menschen den unersättlichen Wissensdrang gelegt hat, hatte nicht die Absicht, seinem Eroberungswillen eine Grenze zu setzen, als er sagte: ,Macht euch die Erde untenan.' "
Das allerdings ist nicht korrekt. Papst Pins hat vielmehr gesagt: "Macht euch Erde unten dran." Amen.
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