die wahrheit: Die Kunst der Gegenaufklärung
Kolumne "Im Jahr des Hasen": Schon in der letzten Folge hatte ich geschrieben, dass ich im Moment nicht in China, sondern auf großer Lesetour durch Deutschland bin. ...
... So wird mir das, was gerade in China passiert, auch nur durch die deutschen Medien vermittelt. In denen standen in den letzten Wochen eindeutig die Verhaftung des Künstlers Ai Weiwei sowie die deutsche Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung" in Peking im Vordergrund. Ich habe die Berichterstattung aufmerksam verfolgt. Dabei sind mir ein paar Dinge aufgefallen. Besonders interessant fand ich einen Vorgang, zu dem der deutsche Sinologe Tilman Spengler Anlass gegeben hatte. Spengler hatte eigentlich mit der Delegation um Außenminister Westerwelle zur Eröffnung der Aufklärungsausstellung nach Peking reisen sollen, doch die chinesischen Behörden hatten ihm die Einreise verweigert.
Auf einer der Eröffnungsveranstaltungen im Pekinger Nationalmuseum waren nun die Veranstalter von einem deutschen Journalisten nach dem Grund für Spenglers Abwesenheit gefragt worden. Statt eine Antwort zu erhalten, war der Mann ausgebuht worden, und zwar keineswegs von chinesischen Funktionären, sondern, wie man las, von "deutschen Wirtschaftsvertretern" (FR), "Vertretern der deutschen Wirtschaft" (Die Zeit), "vom deutschen Publikum, von Geschäftsleuten und Managern" (taz), oder auch von "deutschen Wirtschaftsvertretern" (Die Welt).
Zu Recht wurden diese Buhrufer in den Kommentaren diverser deutscher Medien kritisiert. Von "Wandel durch Anbiederung" schrieb die Welt, die taz nannte sie "deutsche Diktaturliebhaber" und Kulturstaatsminister Neumann erklärte in einer Rede, das Gebuhe sei "geschmacklos". Auch die Museumsdirektoren Michael Eissenhauer, Klaus Schrenk und Martin Roth, die die Ausstellung mitveranstalten, wurden ob ihrer vorgeblichen Kritiklosigkeit gegenüber chinesischen Kulturfunktionären von den Medien ordentlich abgewatscht. Noch etwas später wurden dann auch noch der deutsche Botschafter in China und der Chef des Pekinger Goethe-Instituts von der Süddeutschen Zeitung dafür gegeißelt, dass sie sich angeblich in der chinesischen Öffentlichkeit nicht mehr den Namen Ai Weiwei in den Mund zu nehmen getrauen. Die SZ schlug deshalb vor, man möge die Aufklärungsausstellung in "Die Kunst des Kotaus" umbenennen.
Als ich das alles las, war ich doch wieder einmal sehr stolz auf unsere deutsche China-Berichterstattung: Mutig und unerschrocken nennt sie eben auch deutsche Großkopferten mit Namen, die der chinesischen Regierung allzu distanzlos gegenüber zu stehen scheinen. Bloß wer die buhrufenden Wirtschaftsvertreter bei der Ausstellungseröffnung in Peking waren, konnte man leider nirgendwo erfahren. Nicht einmal die Namen ihrer Firmen wurden genannt. Das wundert nun doch ein wenig, vor allem, wenn man weiß, dass sich auf solchen Events jeder gegenüber jedem mit Stapeln von Visitenkarten vorzustellen pflegt. Deshalb hätte ich zu diesem Vorgang dann doch noch eine schlichte Frage: Woran liegts?
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