die wahrheit: Nagen am Hummertuch
Nova Scotia. Das mittelerdische Auenland der Kanadier. Grüne Seen. Paddelnde Touristen. Verwunschene Pfade. Bei McDonalds im Angebot: McLobster ...
... Hier ist die Welt noch sehr in Ordnung.
Kurz nach Erreichen dieses Schlaraffenlandes plagte mich der Hunger. Ich hielt vor einem Lokal, das von außen einem Krämerladen glich. Früher hatten hier womöglich Cowboys ihre Pferde getränkt und Whiskey gesoffen. Unter "Restaurant" stand in rot-weißen Lettern: "Real Life Eating Experience". Kaum war ich aus dem Wagen gestiegen, wurde die Eingangstür aufgestoßen und ein Mann um die sechzig schritt auf mich zu.
"Welcome! Welcome!" Ich sah über meine Schulter. Aber er meinte mich. Sein schlohweißes Haar war zerzaust, sein Grinsen beeindruckend. Er schüttelte meine Hand. "Welcome! Where are you from?" - "Germany", sagte ich. Der Mann schob mich auf die Veranda und zündete Feuerwerkskörper an. Funken sprühten gelb, rot, grün. Ein paarmal knallte es. Dazu tönte er: "Welcome, friend from Germany!" Ich wollte zurück in meinen Wagen, doch er stellte sich mir in den Weg und hielt mir die Tür auf: "Hungry?"
Das Innere war eine Kombination aus Lokal und Touristenschuppen. Lachende Hummer auf allen T-Shirts, Baseballkappen und Postkarten. Ich wurde an einen Platz geführt, nicht weit entfernt von der Tür. Was mich ein wenig beruhigte. Ungefragt wurde mir eine Papierschürze umgebunden. Ich wollte etwas einwenden, da hob er seinen Zeigefinger und versprach: "Back in a tiny minute!" Er verschwand in der Küche. Und kehrte umgehend zurück mit einer "Chowder", einer Fischsuppe.
Ich bedankte mich und wollte fragen, ob das ein Gruß aus der Küche sei - schon war er wieder weg. Sekunden später brachte er Weißbrot und salzige Butter. Als Nächstes folgten Cranberrysaft, Tee und ein Krebsfleischsalat. Der Tisch war zur Hälfte voll. Das war wohl doch kein Gruß aus der Küche.
Ich fügte mich in mein Schicksal und begann zu essen. Als ich gerade einen ersten Bissen vom Brot genommen hatte, wurde ein dampfender Hummer vor mir platziert. Eine stolze Portion Coleslaw, Krautsalat, dazu. Für Widerspruch war mein Mund zu voll. Nun fehlte bloß noch das Dessert. Es traf gleich darauf ein: Schokoladenkuchen, auf dem eine Kugel Vanilleeis schmolz. Danach keine Spur mehr von dem Grinsenden.
Eine Dame mit tiefen Augenringen brachte mir die Rechnung, als ich noch immer an dem ersten Bissen Brot kaute. Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich nichts von alldem bestellt hatte. Sie zuckte müde die Achseln und meinte: "Thats Joe." Was blieb mir anderes übrig, als mich mit dem Essen zu beeilen, bevor der Hummer kalt und das Eis geschmolzen waren?
Während ich das Menü in mich reinschaufelte, trat Joe erneut an meinen Tisch. "Youre doing a very good job, eating that lobster, Sir!" In seiner rechten Hand hielt er ein Holzschwert. Damit schlug er mir auf die linke, dann auf die rechte Schulter und schließlich auf den Kopf. Und ernannte mich zum ersten deutschen Hummerritter.
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