die wahrheit: Die rätselhafte Erbschaft
Ein alter Freund von mir war unter, wie es hieß, rätselhaften Umständen tot aufgefunden worden und hatte mir testamentarisch eine Fabrik vermacht.
E in alter Freund von mir war unter, wie es hieß, rätselhaften Umständen tot aufgefunden worden und hatte mir testamentarisch eine Fabrik vermacht. Zwecks Besichtigung derselben fuhr ich im Automobil hin.
Der Weg war weit, die Fabrik stand in einem ganz abgelegenen Landstrich, am Rand einer kleinen Stadt. Schon aus der Ferne machte das Gebäude einen maroden Eindruck, offenbar wurde seit langem nichts mehr darin produziert. Durch eine defekte Tür gelangte ich ins Innere, wo ich mit total verwüsteten Räumlichkeiten konfrontiert wurde.
Alles war verschimmelt, der Boden übersät mit Glassplittern und Schrott, mitten in der Halle, zwischen eingestürzten Mauern, breitete sich ein See aus. Es stank nach Moder und Verwesung. Und dafür war ich nun stundenlang gefahren! Von der ebenso langen Rückfahrt, die mir bevorstand, ganz zu schweigen. Dieses Erbe wollte ich selbstverständlich ausschlagen.
Ich war froh, wieder ins Sonnenlicht hinauszutreten. Da sprach mich jemand an, ein Mann in Zivilkleidung, der sich als Kriminalkommissar auswies. Er wusste erstaunlicherweise nicht nur meinen Namen und dass ich jetzt hier anzutreffen war, sondern auch, dass mein verstorbener Freund vor seinem Tod irgendwo im Ort eine Wohnung angemietet, dieselbe jedoch nicht bewohnt hatte, gleichwohl aber ebendort tot aufgefunden worden war. Unter rätselhaften Umständen.
Bevor ich mich erkundigen konnte, woher ihm all das bekannt war, teilte er mir mit: "Ich muss Ihnen etwas zeigen, das in direktem Zusammenhang steht mit dem Tod Ihres verstorbenen Freundes."
Damit machte er mich ausgesprochen neugierig. Also willigte ich ein, ohne Fragen zu stellen. Der Kommissar fuhr in seinem Wagen voraus, ich in meinem hinterher. Vor einem langweiligen Haus in der kleinen Stadt hielten wir und stiegen aus. Als wir auf das Haus zugingen, geschah etwas Seltsames: Ein alter Mann, der anscheinend zufällig vorbeikam, blieb stehen und sagte zu uns: "Entschuldigung, ich habe früher mal in diesem Haus gewohnt. Jetzt sehe ich, dass da eine Wohnung leer steht. Wird das Haus abgerissen?"
Genau das waren seine Worte, ich wundere mich noch heute darüber. Der Kriminalkommissar antwortete nur kühl, davon sei ihm nichts bekannt. Ich entsinne mich, dass er dann die Haustür aufschloss, und dass wir beide ein paar Treppen hinaufstiegen.
Im zweiten oder dritten Stockwerk öffnete er die Etagentür, dann betraten wir die Wohnung, diese ungeheuerliche, völlig abwegige Wohnung. Mir stand der Mund offen. Mein Begleiter sah auf seine Uhr. "Wir dürfen nicht zu lange bleiben", erklärte er mir, "es ist noch immer wirksam." Er führte mich in das Zimmer, wo die Leiche in einem allen Naturgesetzen spottenden Zustand gefunden worden war. Ausgerechnet dazu fallen mir keine Details mehr ein.
Nachdem wir die Wohnung wieder verlassen hatten, gestand ich, absolut nichts begriffen zu haben. "Kein Mensch begreift hier etwas", erwiderte der Kommissar kopfschüttelnd, "aber ich dachte, ich zeige es Ihnen einmal."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!