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Archiv-Artikel

die taz vor zwölf jahren über einen anschlag auf die deutsch-polnischen beziehungen:

Ein Land, dessen Militär- und Sicherheitskräfte schon einmal Bürger eines anderen, von ihm besetzten Landes nach Belieben einfingen, festnahmen, „konzentrierten“, folterten und ermordeten, täte gut daran, jede Maßnahme zu vermeiden, die Erinnerungen an diese Praktiken wachrufen könnte. Die Massenarretierung polnischer Staatsbürger letztes Wochenende in Frankfurt (Oder), ihr sich bis zu 12 Stunden hinziehender Zwangsaufenthalt in einem Lagerhaus, der Einsatz von Hundestaffeln, die Tatsache, dass die Festgenommenen nicht verpflegt wurden, nicht telefonieren konnten – all dies ist unverzeihlich, eine Schande, ein Anschlag auf die polnisch-deutschen Beziehungen.

Formal waren die deutschen Behörden sicher berechtigt, die Razzia durchzuführen. Handelte es sich bei der Verteilungsaktion, zu der sich die PolInnen in Frankfurt eingefunden hatten, doch um illegale Arbeit. Aber die polnischen Arbeitskräfte waren im benachbarten Slubice per Handzettel aufgefordert worden, sich in dem Lagerhaus zu melden, mußten also davon ausgehen, daß die Beschäftigung Rechtens sei. Dies war den deutschen Behörden bekannt. Sie verhielten sich wie agents provocateurs.

Die Euroregion „Viadrina“, die gleichnamige Uni in Frankfurt, Dutzende von Verträgen, gesellschaftliche Initiativen – sie alle haben der Odergrenze bis jetzt nichts von ihrem abweisenden Charakter nehmen können. Nicht nur die Sprachbarriere und Vorurteile wirken gegen die Verständigung. Es ist die Asymmetrie des Wohlstands, die alle anderen Asymmetrien nach sich zieht, vor allem aber der Schwarzarbeitsmarkt. Statt gigantomanischer Polizeieinsätze ist eine flexible Regelung für Arbeitserlaubnisse auf kommunaler Ebene angesagt. Die Mindestforderung aber, deren Erfüllung die deutsche Seite den malträtierten Polen schuldig ist, muß lauten: Gegen keinen der Festgenommenen darf ein Einreiseverbot in die Bundesrepublik ausgesprochen werden!

Christian Semler, 28. 6. 1995