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Archiv-Artikel

die taz vor zehn jahren über sozialneid und business class

Über die „Neidgesellschaft“ maulte schon vor geraumer Zeit Helmut Markworts Focus, und die Bild am Sonntag legt eine ganze Serie auf: „NEID – Die neue ostdeutsche Krankheit“, in der Leute, die nicht viel zu beißen haben, zu miesen Charakteren herabstilisiert werden, immer der Logik verpflichtet, daß jeder eben seines eigenen Unglückes Schmied sei.

Ziemlich viel Panik spricht aus der rechten Kampfvokabel „Sozialneid“ beziehungsweise „Neid“: die Angst ums Eigenheim, wo die tapfere kleine Frau die kaputten Kinder in Schach hält, und vor allem die Angst ums schöne Automobil, dessen Lack zerkratzt werden könnte oder dessen Breitreifen zerstochen werden könnten, als müsse sich nicht jeder, der einen Daimler der S-Klasse fährt, darüber im klaren sein, daß er nicht ein Auto, sondern eine soziale Kriegserklärung vorführt.

Zum Neid auf Leute, die von Helmut Markwort perfekt repräsentiert werden, besteht kein Anlaß; man muß nur einmal in ihrer Business Class mitfliegen, um das ganze Elend vor Augen zu haben: sechzig identische Schlipsträger in identischen weißen, blauen oder – gewagt, gewagt – blau-weißen Oberhemden mit identischen Aktenkoffern; alle lesen sie dieselbe Zeitung, doch Stein und Bein würde jeder dieser aus ein und demselben Reagenzglas gezogenen Säcke schwören, schwer individuell zu sein. Wenn man sie richtig quälen will, setzt man sich als Nichtschlips mitten unter sie, und dann grummeln und grollen sie vor sich hin, hmmh, was nützt mir die ganze Business Class, wenn da jeder Penner mitfliegen darf, wo sind meine schönen Privilegien, schließlich habe ich doch dafür bezahlt …

Es ist völlig ausreichend, Trottel mit der Arroganz zu behandeln, die Trotteln zukommt. Aber ihre nicht minder dummen Autos kann man ihnen trotzdem kaputt machen. Denn was Typen wie Markwort zur Verzweiflung bringt, das freut die Menschen.

Wiglaf Droste in der taz vom 21. 12. 1996