die taz vor zehn jahren über die zerfallserscheinung der kohl-regierung :
Steuerreform nicht durchgesetzt, Rentenkonzept auch nicht, leere Haushaltskassen, Arbeitslosigkeit unverändert hoch. Derzeit sieht es so aus, als müsse die CDU vor diesem malerischen Hintergrund die heiße Phase des Wahlkampfs bestreiten – und das alles mit einem Kanzler, der glaubt, die Wahlen seien mit dem Thema Euro zu gewinnen. Der Fraktionschef der Union muß ziemlich verzweifelt sein.
Wolfgang Schäuble hat mit seinem Vorschlag, die Mineralölsteuer zu erhöhen, viel weiter gezielt als nur in den Vermittlungsausschuß. Die FDP, die sich freiwillig zu einer reinen Steuersenkungspartei degradiert hat, konnte Schäuble nicht zustimmen. Das weiß der auch. Sein Vorstoß muß daher als Versuch gewertet werden, in letzter Minute die Pferde zu wechseln. In den letzten Monaten haben CDU und CSU große Rücksicht auf die FDP genommen. Das ist ihnen nicht gut bekommen. Genutzt hat es aber selbst der FDP nur wenig. Schäubles Vorstoß ist ein Signal. Er will keine weiteren Kompromisse den Liberalen zuliebe. Die CDU soll um ihre eigenen Wähler kämpfen. Die Interessen der Koalitionspartner sind nicht mehr dieselben. Der nächste Streit ist programmiert. Die FDP braucht die Absenkung des Solidaritätszuschlags dringend für ihren Wahlkampf. Die Union kann ihn sich nicht leisten. Vielleicht bleibt den Liberalen am Ende keine andere Wahl, als die Koalition aufzukündigen. Danach gäbe es zwei Möglichkeiten: Neuwahlen oder eine große Koalition. Weder die SPD noch die Grünen haben ein fertiges Konzept für die Wahlen in der Schublade. An einem vorgezogenen Urnengang können sie kein Interesse haben. In einer großen Koalition stellt die Union als stärkste Fraktion erneut den Kanzler. Der würde dann aber nicht mehr Kohl heißen. Schäuble selbst hat zu Beginn des Jahres eingeräumt, er werde der Versuchung wohl nicht widerstehen können, sollte das Amt an ihn herangetragen werden. Da ist er in der Union allerdings nicht der einzige.
Bettina Gaus, taz 25. 9. 1997