piwik no script img

Archiv-Artikel

die taz vor 17 jahren über die normalen katastrophen der ölindustrie

Angesichts des Wracks von Genua, den 160 Millionen Litern Öl an den Küsten des Mittelmeers von „Katastrophe“ zu sprechen, mag naheliegen – doch es ist eine Verharmlosung. Katastrophe bezeichnet das plötzlich hereinbrechende, unerwartete Unglück – Havarien wie diese können keinesfalls als Überraschung gelten. Im Gegenteil. Bei den Millionen von Frachtkilometern, die der schmierige Stoff unserer Energieträume auf den Weltmeeren zurücklegt, sind Unfälle wie die der „Exxon Valdez“ oder jetzt der „Haven“ schlicht eine statistische Notwendigkeit. Ölteppiche wie der zwischen Genua und Monaco sind – ebenso wie die kriegsbedingte Verseuchung des Persischen Golfs – der unvermeidbare Preis, den die Industriegesellschaften für ihre Sucht nach dem exotischen Rohstoff Öl bezahlen müssen. Wie exotisch und absurd das Verbrennen iranischen Öls in italienischen Öfen für die heiße Dusche deutscher Pkw-Reisender ist – diese Unlogik globaler Energieverschwendung wird vielleicht bald eine neue Lobby erhalten: die Hoteldirektoren und Tourismus-Offiziellen der betroffenen Küstenregion. Sie werden dem gefälschten (Archiv-)Wappentier des Golfkriegs, dem ölverschmierten Kormoran, reichlich echte Horrorexemplare folgen lassen und klarmachen, daß nicht nur die Natur, sondern auch Natur als Rohstoff ihres Gewerbes versaut wird. Die Ölklumpen an den Stränden der Riviera konfrontieren die „saubere“ Dienstleistungsindustrie der Zukunft, den Tourismus, mit ihrer überholten, schmutzigen Vergangenheit. Daß es sich dabei auch noch um unsere Gegenwart handelt, um ein Zeitalter hemmungsloser Ölsucht, wird gern vergessen. Es ist ja nur ein Tanker, ein Fingerhut in einem Ozean. Von dem Erfinder und Biosphären-Experten James Lovelock stammt die klimatologische Parole: „Kettensägen sind eine schlimmere Erfindung als die Wasserstoffbombe.“

Ein Epochenwechsel in der (Energie-)Wirtschaft ist überfällig, und die Tourismusindustrie sollte den Bürgerinitiativen in Sachen Umweltschutz mehr als willkommen sein. Arbeitsplatzargumente, wirtschaftliche Sachzwänge, diese Argumente aus Lobbyistenmund können neuen Drive bringen.

Mathias Bröckers taz vom 16. 4. 1991