die taz vor 17 Jahren über den amtlichen sieg von glasnost und perestroika :
In der Sowjetunion soll im Frühjahr nächsten Jahres ein gewähltes Parlament zusammentreten und einen sowjetischen Präsidenten berufen. Dies ist der wichtigste Punkt eines vom Zentralkomitee der Partei beschlossenen Zeitplans, nach dem die Reformpläne von Parteichef Michail Gorbatschow verwirklicht werden sollen.
Im März wird das Volk einen neuen Kongreß der Volksvertreter mit 2.250 Mitgliedern wählen. Der Kongreß tritt im April zusammen und wählt einen sowjetischen Präsidenten mit weitreichenden Befugnissen. Aus ihrer Mitte bestimmen die Abgeordneten außerdem 400 Mitglieder eines ständig tagenden Parlaments, des neuen Obersten Sowjets. Das alte Gremium dieses Namens war nur einmal jährlich zusammengekommen, um die vom Präsidium vorbereiteten Gesetzentwürfe gutzuheißen.
Der neue Oberste Sowjet soll den ZK-Beschlüssen zufolge die seit längerem angekündigten Gesetze über die Aufgaben und Rechte der Presse in der Sowjetunion sowie neue Gewerkschaftsgesetze ausarbeiten. Weiter heißt es, die Umgestaltung der Justiz müsse bis Mitte 1989 abgeschlossen sein.
Zur Neuorganisation der Partei beschloß das ZK, daß die Parteigremien bis zum Jahresende Rechenschaftsberichte vorlegen müssen. Die Wahl der Funktionäre solle sicherstellen, daß nur noch fähige Leute, „die hohe moralische Qualitäten besitzen und in der Lage sind, die Arbeit auf neue Art und Weise zu organisieren“, an der Spitze stünden. Die Begrenzung der Amtszeit auf insgesamt höchstens zehn Jahre gilt nicht rückwirkend, und Ausnahmen sollen möglich sein.
Gorbatschow hatte in seiner Eröffnungsrede der ZK-Vollversammlung vorgeschlagen, die Zahl der Parteimitglieder deutlich zu verringern. Nicht wie jetzt zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung, sondern nur noch die „Vorhut der Gesellschaft“ solle in der Partei organisiert sein. Nach Ansicht westlicher Beobachter könnte die Überprüfung der Mitgliedslisten genutzt werden, korrupte oder untätige Parteimitglieder oder auch Gegner der Perestroika zu entfernen.
taz, 1. 8. 1988