die taz vor 13 jahren zur spd, die in der schröder-falle verharrt :
Das Schlimmste an Schröder ist sein Erfolg. Je mehr Unsinn er redet, desto populärer wird er. Das hat Konsequenzen.
Je populärer er wird, desto mehr Unsinn redet er. Sein politisches Konzept heißt ungeschminkter Protektionismus für die Auto- und Rüstungsindustrie, samstags gehört Papi in die Firma, Lehrer sind faule Säcke, Punks muß der Arsch versohlt werden, und Haschisch kommt nicht in die Tüte.
Anfangs erschien Schröders Angriff auf die Stammtisch-Hegemonie noch als listige Strategie. Der linke Schröder gibt sich populistisch, um konservative Wählerschichten zu knacken. Inzwischen hat selbst sein treuester Fan-Club in der Woche gemerkt: Der meint das wirklich so. Seine Ausfälle sind keine Finten, sondern politische Identität. Schröder, da gibt es keinen Zweifel mehr, ist zur Galionsfigur der Parteirechten geworden.
Daß dieser Erkenntnisprozeß so lange dauerte, hat Gründe: Schröders Vergangenheit, seine flotten Sprüche, sein autoritärer Führungsstil. Das kommt an, vor allem im Vergleich mit dem spröden Vormann Scharping. So umweht den Niedersachsen immer noch das Credo des Reformers. Zugleich erscheinen seine Selbstgefälligkeit und Arroganz, sein strotzendes Selbstbewußtsein als beste Voraussetzung, es mit Kohl aufzunehmen.
So sitzt die SPD in der Schröder-Falle: Angesichts der demonstrativen Unfähigkeit Scharpings erscheint der Niedersachse wie der Erlöser. Doch der Mann, der am Helmut- Schmidt-Syndrom des Charismatikers ohne Vision leidet, der jederzeit die Umweltpolitik auf dem Altar der Autoindustrie opfert – er ist für ein ökologisches Reformprojekt der falscheste aller Kandidaten. Dies dämmert langsam der Partei. Der Machtkampf um die Pole-Position in der SPD könnte deshalb mit einer hübschen Pointe enden. Unter den Genossen wächst die Zahl derer, die unter Mobilisierung der Restvernunft vor allem eines wollen: keinen von beiden. Manfred Kriener, taz vom 23. 8. 1995