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Archiv-Artikel

die taz vor 10 jahren über den neuen pragmatismus der pds

Bisher galt in der PDS das pluralistische Prinzip, daß jeder machen kann, was er will. Doch der gesellschaftliche Einfluß der PDS hat in den letzten Wochen erheblich zugenommen. Immer konkreter erklären PDS-Politiker ihre Bereitschaft, sich an Landesregierungen in den neuen Bundesländern zu beteiligen. Es scheint nur noch eine Frage weniger Jahre zu sein, bis der erste PDS-Landesminister vereidigt wird.

Schon sind die Demokratischen Sozialisten mittendrin in einer heftigen Debatte über ihr politisches Selbstverständnis. Die Westausdehnung der PDS ist spätestens bei den Bundestagswahlen 1994 gescheitert. Daß die Stärken der PDS in der Kommunalpolitik liegen, wo sich die Politiker mit den konkreten Problemen ihrer ostdeutschen Mitbürger beschäftigen, ohne sich um Grundsatzprogramm oder Parteistatut zu scheren, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Die PDS ist seit langem das Sprachrohr ostdeutscher Interessen und ostdeutscher Befindlichkeiten. Die klassenkämpferischen und radikalen linken Forderungen des Parteiprogramms wurden von der Mehrheit der Mitgliedschaft und von den meisten PDS-Wählern nie geteilt. Sie wurden mit Rücksicht auf die alten Kader und mit hoffnungsvollem Blick auf Wähler im Westen verabschiedet.

Doch viele Ideologen von einst schlagen sich inzwischen mit den irdischen Problemen des Kapitalismus herum, die Wessis machen sich rar. Das PDS-Programm wird mehr und mehr zur Makulatur. Intern werden diese Fragen und Probleme in der PDS seit langem diskutiert. Neu ist allerdings, dass sich die Praktiker aus den Kommunen und Landtagen, wie jüngst Roland Weckesser und Christine Ostrowski aus Sachsen, jetzt vehement zu Wort melden. Sie haben offenbar keine Lust mehr, sich ständig vor den Vertretern des linken oder orthodoxen Parteiflügels zu rechtfertigen, wenn sie in ihrem politischen Alltag gegen deren Heilslehren verstoßen.

Christoph Seils, 11. 5. 1996