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die stimme der kritikBetr.: Bürger beobachten die Bahn (Teil 4)

Aus Gleis 8: beruhigend, aufklärerisch, vorangemeldet

Neulich meldete das Radio halbstündlich, auf der Bahnstrecke Köln–Aachen komme es zu erheblichen Verspätungen wegen eines Rechnerausfalls. Das ist beruhigend: Bei der Bahn gibt es Rechner. Möglicherweise sind es sogar moderne elektronische. Glauben doch immer noch Leute, unterwegs werde gerufen und gewunken, wenn sich der Zug einer Schranke nähere. Oder wenn ein Signal klappernd die Farben wechselt.

Auch die Durchsagen im Zug beruhigen: Früher blieb so ein Express mitten auf freier Strecke stehen und es blieb still. Heute heißt es stattdessen: „wegen technischer Störungen“. Das regt die Fantasie an. Oder bei routiniert gemeisterten Verspätungen: „Anschlussreisende“ mögen sich nicht grämen, „Ihr Anschlusszug ist vorangemeldet“. Das sagt einem zwar nichts, aber es besagt viel: Nämlich dass der Zug wartet oder nicht. Und es belegt: Dem Personal ist bekannt, dass Personen mitreisen. Eine Art persönlicher Würdigung des zahlenden Transportgutes. Schön, das zu wissen.

Auch unsere Sprache lebt. Wir werden Zeugen angewandter Sprachschöpfungskreativität und -dynamik: Die Wagen haben, wird uns durchgesagt, Ordnungsnummern. In welcher Ordnungsnummer mag ich sein, wenn jetzt der ICE in Hamm geteilt wird? Oder: „Ihr Zug fährt aus Gleis 8.“ Aus! Nicht auf oder von. Ausfahren deutet auf Bewegung. Auf – bedeutete Stillstand, von – nur eine Absicht. Aus heißt, dass der Zug vielleicht längst auf und davon ist, wenn man am Gleis 8 angehechelt kommt – ob vorangemeldet oder nicht.

Wenn ausländische Bahnhöfe durchgesagt werden, ist es wie bei „Wer wird Millionär?“ Man darf mitraten. Welcher der vier hier genannten Orte, alles selbst erlebt, ist richtig vertont: A: Ferrfie-eh (für Verviers), B: Treußzdorf (für Troisdorf), C: Du-Iss-Burg (für Duisburg) oder Geh Nee-we (für Genf/Genève)? Na? Keiner? Stimmt. Und es gibt sogar innovative fröhliche Zugchefs, die nicht stotterndstimmig Listen ablesen, sondern „unsern nächsten Halt“ stets gereimt begrüßen: „Reisende, bitte nicht vergessen – der nächste Halt ist Essen!“

Wenn jetzt 300 Schalter zumachen werden, bleiben ja noch 700 andere. Neben hoch qualifizierten Bäckern und Zeitungshändlern sollen auch Metzger den Verkauf von Fahrkarten organisieren. Auch gut. Die haben ja eh nichts zu tun derzeit. Und Bahntickets sind, soweit bekannt, BSE-frei.

BERND MÜLLENDER

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