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Archiv-Artikel

die schwebende planke von EUGEN EGNER

Der Mann, den man früher so oft gesehen hat, war wieder auf dem Bürgersteig unterwegs. Neben ihm schwebte im Abstand von 40 Zentimetern die senkrechte, fast mannshohe Planke, die auch früher schon immer neben ihm geschwebt hatte. Es kam der Moment, da eine andere, fremde Planke mitten im Weg stand. In ihr war ein etwa aprikosegroßes Loch, so dass der Blick des sich nähernden Mannes hindurch fiel. Der Himmel war eine endlose Baustelle.

Eine Frauenstimme rief etwas. Der Mann drehte sich verblüfft um. Eine Frau sah aus dem offenen Fenster eines Lkws, von ihrem Mund lösten sich noch vereinzelte Schwaden eines unverständlichen Ausrufs. Der Mann ging vorsichtig zu ihr, die Planke unverändert zur Seite. Jetzt erkannte er die Frau im Lkw als seine Jugendfreundin Berten Anna.

Er stieg ein, die Planke musste draußen bleiben. Der Mann machte den Eindruck, mit dem Ordnen seiner Gedanken und Erinnerungen beschäftigt zu sein, und Berten Anna hielt es für besser, ihn nicht zu bedrängen. Mit einem Mal sprach er: „Berten Anna, entschuldige bitte, aber was um alles in der Welt ist Nahrungsaufnahme? Ist es etwas, das für mich in Frage kommt? Wenn ja, wie gehe ich dabei vor?“

Besorgt sah Berten Anna seinen Kopf an, indem sie eine Rauchwolke ausstieß. Da fiel ihr ein, dass sie sich gar keine Zigarette angezündet hatte, aber nun war es zu spät. Endlich sagte sie: „In den letzten Jahren wurden Futtergefäße nach modernen Gesichtspunkten entwickelt, die nicht sofort die Futteraufnahme verleiden.“ – „Was kannst du mir über diese Dinge sagen? Wie nehme ich beispielsweise Futter zu mir?“ Berten Anna erklärte es ihm mitleidig, der Mann schrieb sich alles auf und sprach die Worte laut mit. „Du musst deinen Futterkasten … “, begann die alte Freundin. „Futterkasten“, wiederholte der Mann. „… hinter das Fenster stellen.“ – „Fenster stellen. Weiter?“ – „Deine Zunge sollte dabei in die Tülle der Flasche eingestülpt sein.“ – „Sein.“ – „Von der Straße aus wirst du bald an deinem prallen Hinterleib, vor allem aber an der Drüse, zu erkennen sein.“ – „Gut. Und was ist mit dieser Sache, die sie Trinken nennen?“

Berten Anna setzte den Mann und seine Planke daheim ab und brachte ihm das Trinken bei. Dabei ging sie Schritt für Schritt nach dem Lehrbuch vor: „Erstens: Einfüllen des Getränks; zweitens: Nachschenken; drittens: Ansetzen und Wenden des Glases, dabei einen Schwamm auf die Leber pressen; viertens: Kräftiges Durchschwenken des Glasinhalts; fünftens: Aufsetzen des Glases mit der Öffnung nach unten auf die Trinkvorrichtung.“

Dann ließ sie ihn erst einmal allein, damit er in Ruhe üben konnte. Er saß auf dem Fußboden und überlegte, ob er in seine Planke nicht auch ein Loch bohren lassen sollte. Die Planke selbst hegte ähnliche Gedanken, denn sie bestand plötzlich eifersüchtig darauf, ein Loch gebohrt zu bekommen.

Schließlich erlag der Mann der Versuchung, das Rauchen zu erlernen, um den Rauch durch das Loch in der Planke blasen zu können. Ausschlaggebend dafür war ein Satz, den er vor einiger Zeit in einem anderen Lehrbuch gelesen hatte, und der ihm nicht mehr aus dem Sinn ging: „Wer Raucher ist, zündet sich einfach eine Zigarette an.“