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Archiv-Artikel

die rache der puppe von EUGEN EGNER

Bereits als Kind hatte ich jedes Mal, wenn es brenzlig wurde, meine Puppe vorgeschickt. Und so gedachte ich auch als Heranwachsender mein Leben zu meistern; in der Schule, bei der Kriegsdienstverweigerung, im Berufsleben – in allen Lagen sollte mir die Puppe unliebsame Konfrontationen abnehmen.

Als ich dann in die Pubertät kam, benutzte ich sie, um an Mädchen heranzukommen. Mit vierzehn hatte ich ein heimliches Verhältnis mit Bunny Gurfinkel. Gurfinkels wohnten in einer feineren Gegend als ich, weshalb ich es nie und nimmer wagen konnte, an ihrer Tür zu klingeln und nach der Tochter des Hauses zu fragen. Schlau, wie ich war, sondierte ich zunächst genauestens die örtlichen und familiären Verhältnisse. Einen Kirschlorbeerstrauch im Vorgarten und Mutter Gurfinkel machte ich endlich, ohne dass sie es ahnten, zu meinen Komplizen.

Einen Strauch zu seinem Komplizen zu machen, ohne dass er es ahnt, ist relativ leicht, bei einer Mutter ist es schon schwieriger. Ich hatte bald heraus, dass es im Hause Gurfinkel Umstände gab, die mir dienlich waren: Mutter Gurfinkels ganze Leidenschaft war das Klavierspiel, das sie auf eine so laute wie wirre Art betrieb. Für mich damals war es Free Jazz, für sie selbst vielleicht auch, für ihren Gatten aber, der Wert auf wohldefinierte Schallführung und saubere Klangproduktion legte, war es die Hölle.

Wenn es Bunny und mich nach einer Intimität gelüstete, brauchten wir nur zu warten, bis ihr Vater vom wirren Klavierspiel seiner Frau abgelenkt war. Dann klingelte ich, stellte die Puppe auf die Fußmatte vor der Haustür und verschwand blitzschnell hinter dem Kirschlorbeerstrauch. Der enervierte Vater öffnete und sah geistesabwesend die Puppe da stehen. Das Kabel, das unten aus ihrem Kleidchen kam, sah er wegen der lauten und dissonanten Töne seiner Frau aber nicht. Es verlief ins Gebüsch, wo ich mit einem Mikrofon saß. Da hinein sprach ich mit süßer Stimme, und aus der Puppe tönte es: „Ich möchte Ihre Tochter zum Spielen abholen.“

Das konzentrationszerrüttende Klavierspiel hielt unvermindert an, und Vater Gurfinkel konnte infolge seiner dadurch herabgesetzten Denkfähigkeit keinerlei Zweifel an dem scheinbar harmlosen Sachverhalt entwickeln, der sich ihm an der Haustür darbot. Er rief einfach seine Tochter. Die kam, nahm die Puppe hoch und sprach zu ihr. Während der Vater die Haustür zuschlug und drinnen seine Frau über die Cluster hinweg anbrüllte, sie solle endlich Ruhe geben, rollten Bunny und ich eilig das Mikrofonkabel auf. Dann rannten wir in unser Versteck, die Gartenhütte, wo wir geschlechtlich wüteten. Die Puppe wurde auf den Fenstersims der Hütte gestellt, mit dem Gesicht nach außen, damit sie uns warnen konnte, falls Gefahr drohte. So ging es lange Zeit gut.

Bald aber fühlte sich die Puppe benutzt und wollte selbst im Mittelpunkt geschlechtlichen Wütens stehen. Weil ich das rigoros ablehnte, machte sie die Gartenhütte dem Erdboden gleich. Dann riss sie den Kirschlorbeerstrauch aus. Als sie damit fertig war, drang sie in Gurfinkels Haus ein und zertrümmerte das Klavier. Es klang nicht viel anders als Mutter Gurfinkels Spiel. Mein Therapeut sagt, ich trüge keine Schuld am Tod dieser Menschen.