die ostler sprechen nicht mehr ostdeutsch : Mauer weg, Sprache auch
Den Ostlern geht ihre Sprache verloren. Das behaupten Linguisten und Journalisten. Und schuld sind? Die Westler
14 Jahre ist es her, dass die Ostler ihren westdeutschen Nachbarn erstmals die feuchte Hand zum Gruß reichten. Sie bestellten sich für ihr Begrüßungsgeld ein Jägerschnitzel und bekamen unverständlicherweise keine panierte Scheibe Jagdwurst, sondern Schweineschnitzel mit Pilzsoße serviert. Mann, waren die komisch!
Die Tränen der Rührung über die Protagonisten der Wiedervereinigung wurden schnell zu Lachtränen. Was die für Wörter erfunden hatten, nur um nicht Englisch sprechen zu dürfen! „Nietenhosen“, etwa. Oder „Brettsegeln“. Die „geflügelte Jahresendfigur“ war so schrill, dass nicht einmal die Ostler selbst sie kannten. Das Gegrinse hielt so lange an, bis die Ostler anfingen, sich selbst zu disziplinieren. Wer will schon zu einer gesellschaftlichen Gruppe gehören, über die sich jeder Depp ungestraft lustig machen darf? Zuerst vergaßen sie alle Wörter, die sie zum Glück nicht mehr brauchten: Wandzeitung. Oder Traditionskabinett. Dann sagten sie brav Pril statt Fit, Supermarkt statt Kaufhalle, Team statt Kollektiv, viertel nach sieben statt viertel acht.
Auf Partys kommt heute Freude auf, wenn zwei Gäste sich einander als Ostler zu erkennen geben. Und Trauer. Denn die daneben stehenden Westler bedauern immer so schön, dass diese ganze coole Authentizität der Ostler verloren zu gehen droht. Jetzt, wo sie endlich von Salzgitter „auf den Prenzlberg“ gezogen sind und bei eBay für ihr Erstgeborenes einen dieser „urst schauen“ 70er-Jahre-Ost-Kinderwagen ersteigert haben. Die Ostler finden das witzig. Sie fahren seit 14 Jahren Buggy. ANJA MAIER