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Archiv-Artikel

die krankenkellnerin von EUGEN EGNER

Die Kellnerinnen in meiner Stammkneipe verfügen über eine abgeschlossene Krankenschwesternausbildung, sodass sie im Bedarfsfall zwar nicht meinen Leichnam hübsch herausputzen könnten, aber jederzeit imstande sind, mich pflegerisch zu versorgen. Zudem hat der Wirt früher ein paar Semester Medizin studiert, und das gibt mir die Gewissheit, wirklich in guten Händen zu sein.

Seit die Gastronomie nach einer vom Schweinesystem rücksichtslos durchgepeitschten Währungsreform darniederliegt, kommt gedachter Kneipe das zweite Standbein sehr zugute, und die Medizin ist inzwischen sogar dabei, dem Alkoholausschank den Rang abzulaufen. Das Angebot wird zusehends breiter, neuerdings werden Stammgäste sogar schriftlich zu Vorsorgeuntersuchungen eingeladen. Folgende Benachrichtigung erhielt ich jüngst: „Wir können die Wartung der Glumsdrüse kurzfristig durchführen. Schadhafte Teile wünschen wir Ihnen noch und verbleiben mit nacktem Arsch.“ Der offenkundig unter Alkoholeinfluss verfasste Text stellt durch eine gelungene Kombination der vorerwähnten, ursprünglich eher gegensätzlichen Bereiche dar.

Zudem ist die Art und Weise der Formulierung eine hochvertrauliche, wodurch das Bewusstsein gegenseitiger Verbundenheit gestärkt wird. Na, wie auch immer, irgendwie muss ich wohl zugestimmt haben und werde auf Magistratsbeschluss hin gemeinsam mit einer der Kellnerinnen in ein Krankenzimmer eingemauert.

Die Klinik, in der sich dieses Zimmer befindet, soll zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt gesprengt werden, daher besteht die besondere Herausforderung darin, vorher noch hinauszugelangen. Dazu bleibt uns nur der Weg durchs Fenster und die Außenfassade hinunter. Doch zuerst muss ich gesund werden. Von meinem Sterbebett aus unterhalte ich mich, wenn meine Kraft dazu reicht, mit der Krankenschwester.

„Ist es hier nicht ein wenig einsam für eine Frau wie Sie?“, frage ich. „Durchaus nicht“, antwortet sie, „seit Sie wieder bei Bewusstsein sind, brauche ich mich nicht mehr mit dem Wasserhahn zu unterhalten.“ – „Ist es nachts nicht unheimlich?“ – „Eigentlich nicht. Im äußersten Fall, wenn zum Beispiel der Wasserhahn frech guckt, dreh ich mich einfach um.“ Dann muss ich wieder die Augen schließen, denn ich ertrage die dreisten Blicke des Wasserhahns nicht länger.

Nach einer Woche äußere ich den Wunsch nach einem Glas Wein. „Ich will doch mal nachsehen, ob die Getränke in den Flaschen alle tot sind“, sagt die Krankenschwester, die sich so schnell nicht unterkriegen lässt. Sie holt alle Flaschen unter meinem Bett hervor. Wenig später atmen wir erleichtert auf: Die drahtlose Wirkung der Getränke ist erhalten geblieben, sie ist eindeutig noch von großer Heftigkeit!

Leider ertrinkt eine verirrte namenlose Fruchtfliege in meinem Wein. Mit geübten Handgriffen fischt die Krankenschwester das tote Insekt heraus. Als ich das Glas ausschütten will, fällt sie mir in den Arm und ruft: „Den Wein jetzt nicht zu trinken, hieße, unsere Soldaten vor Stalingrad zu verhöhnen!“ Dann muss alles ganz schnell gehen, denn in zehn Minuten wird die Klinik gesprengt.