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Archiv-Artikel

die kopftuchdebatte in berlin (teil 9) Harald Wolf: Verbot ist keine Lösung

Bei aller Toleranz dürfen wir keine „kulturelle Identität“ respektieren, die Frauen unterdrückt

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass muslimischen Lehrerinnen das Unterrichten mit Kopftuch nur per Landesgesetz untersagt werden kann. Innensenator Körting (SPD) will nun per Gesetz das Kopftuch aus dem öffentlichen Dienst verbannen. Zwei Wochen debattierten ExpertInnen in der taz sein Vorhaben. Mit dem Beitrag von Frauensenator Harald Wolf (PDS) endet die Serie. Er widerspricht seinem Senatskollegen: Mit einem Verbot gehe man islamischen Fundamentalisten in die Falle.

Shirin Ebadi, die iranische Friedensnobelpreisträgerinnen, hat sich jüngst zur Kopftuchdebatte in Deutschland geäußert. Sie sagte, es sei sehr wohl möglich, Islam und freiheitliche Grundrechte miteinander zu vereinbaren, und es sei gegen die Freiheit, wenn Lehrerinnen verboten werde, mit Kopftuch zu unterrichten. Sie selbst trug westliche Kleidung und kein Kopftuch, als sie anlässlich der Zuerkennung des Friedensnobelpreises in Paris vor die Presse trat. Prompt warfen ihr Vertreter der iranischen Regierung vor, sie beleidige den Islam.

Shirin Ebadi hat Recht. Das Kopftuch ist ein religiöses Symbol, aber per se noch kein Beweis dafür, dass seine Trägerin unsere Verfassung und die darin verankerten Grundrechte ablehnt. Ein Kopftuchverbot, das von der konkreten, individuellen Motivation der Kopftuchträgerin absieht und es als generellen Ausdruck einer „aggressiv-kämpferischen Grundhaltung gegenüber der freiheitlich-demokratisch Grundordnung“ (Ehrhart Körting) interpretiert, droht den islamischen Fundamentalisten in die Falle zu gehen. Ein solches Verbot wäre die juristische Bestätigung ihrer Predigten: Islam, freiheitliche Werte und Frauenrechte sind grundsätzlich unvereinbar.

Der Versuch, dieser Falle durch einen strikten Laizismus zu begegnen und das Tragen aller religiösen Symbole an der Schule zu untersagen, führt in neue, kaum lösbare Schwierigkeiten und skurrile Diskussionen: Wann ist ein Kreuz Glaubenssymbol, wann modisches Accessoire? Und wer fragt nach muslimischen Männern, die als äußeres Zeichen ihrer religiösen Einstellung Bart und Kopfbedeckung tragen? Die Argumentation von Bischof Huber, christliche Symbole seien in unserer Kultur akzeptiert und hätten keine politische Bedeutung, das Kopftuch dagegen sei Symbol einer „kulturellen Kluft“ und einer „Abwehr der Gleichberechtigung“, führt direkt in die Gefahr des Kulturkampfes. Mit welchem Recht kann man pauschal die christlich-abendländische Tradition über die islamisch-orientalische stellen? Aus allem folgt für mich: Ein gesetzliches Kopftuchverbot wäre keine Lösung.

Das kann und darf aber noch lange nicht das Ende der Debatte sein: Denn man darf nicht aus falsch verstandener Toleranz die Augen davor verschließen, dass eine fundamentalistisch geprägte, Menschenrechte im Allgemeinen und Frauenrechte im Besonderen missachtende Auslegung des Islam auch in Berlin unter Immigrantinnen und Immigranten immer mehr Boden gewinnt. Dass die Zahl der Schülerinnen, die von ihren Eltern unter das Kopftuch gezwungen werden, wächst. Und dass das aus diesem Grund getragene Kopftuch nicht nur harmloses Zeichen einer Kultur ist, die „irgendwie“ anders ist als die westliche, sondern sehr wohl auch ein politisches Statement gegen das Recht auf Gleichstellung und freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Als Linke müssen wir uns daher auch selbstkritisch fragen, ob wir uns vom richtigen Ziel einer multikulturellen Gesellschaft bisweilen zu falscher Gleichgültigkeit haben verleiten lassen. Bei aller Toleranz dürfen wir keine „kulturelle Identität“ respektieren, die Frauen unterdrückt und freiheitliche Grundrechte missachtet.

Die Debatte um das Kopftuchverbot aber geht an diesem eigentlichen Problem vorbei: Nach einer Umfrage aus dem Jahr 1999 gehen 80 Prozent der muslimischen Kinder in Korankurse. Was sich dort in den Hinterhöfen abspielt, welche Werte dort vermittelt werden, entzieht sich weitgehend dem Blick der Gesellschaft. Wer führt das Gespräch und die Auseinandersetzung mit den Kindern und Jugendlichen, über das, was ihnen dort vermittelt wird? Welche Unterstützung erfahren Mädchen, die von ihren Familien zum Tragen von Kopftüchern gezwungen werden bei der Bewältigung ihrer Konflikte – mit dem Ziel, sich Lebensbedingungen schaffen zu können, in denen sie sich künftig frei entscheiden können? Diesen Fragen sich zu stellen, ist die eigentliche Herausforderung. Ein Kopftuchverbot beantwortet keine einzige davon. HARALD WOLF

Der Autor ist Senator für Frauen, Wirtschaft und Arbeit