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Archiv-Artikel

die kopftuchdebatte in berlin (teil 6) Günter Piening: Verbot ist überflüssig

Eine aktive, plural verfasste und aufmerksame Schule hat keine Angst vor dem Kopftuch und braucht kein Verbot

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass muslimischen Lehrerinnen das Unterrichten mit Kopftuch nur per Landesgesetz untersagt werden kann. Innensenator Körting (SPD) will nun per Gesetzesnovelle das Kopftuch gleich aus dem gesamten öffentlichen Dienst verbannen. Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening hält dies schlicht für überflüssig. Denn das neue Schulgesetz werde bereits alle wesentlichen Punkte regeln.

Je weiter die Diskussion um das Kopftuch voranschreitet, umso mehr entfernt sie sich von dem ausgewogen-nachdenklichen Rahmen, den das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 24. September vorgegeben hat. Längst geht es nicht mehr um die dort geforderte grundlegende Neujustierung des Verhältnisses von Staat und Religionen. Um ein „Lex Kopftuch“ (d. h. ein generelles Kopftuchverbot an den Schulen) begründen zu können, werden von den Befürwortern des Verbots alle Frauen, die das Kopftuch tragen, zu bewussten oder unbewussten Vorkämpferinnen eines politisch-fundamentalistischen Islam hochstilisiert. Ein Verbot des Kopftuchs erscheint dann plötzlich als unumgänglicher Notwehrakt der wehrhaften Demokratie.

Abgesehen davon, dass es hier wieder einmal die Frauen sind, deren Berufsperspektiven eingeschränkt werden: Durch diese symbolische Politik dürfte der politisch-fundamentalistische Islam eher gestärkt werden. Statt Differenzierung zu fördern und die demokratisch orientierte Grundstimmung innerhalb des deutschen und europäischen Islam anzuerkennen, spült die Verbotsdebatte Vorurteile gegen den Islam insgesamt hoch. Diese Ausgrenzungserfahrung eint und verstärkt in den muslimischen Gemeinschaften die Ressentiments gegenüber der deutschen Gesellschaft. Etwas Besseres können sich die islamistischen Kreise gar nicht wünschen.

Ein Verbot ist falsch, gefährlich – und überflüssig. Dabei plädiere ich nicht für Tatenlosigkeit, sondern im Gegenteil für eine intensivere Auseinandersetzung mit demokratiefeindlicher (Alltags-)Entwicklung vor allem auch in den Schulen.

Wesentliche Ansatzpunkte bietet hier der Entwurf für ein neues Schulgesetz, der derzeit im Berliner Abgeordnetenhaus beraten wird. Dort heißt es in Paragraf 1, dass „alle Anlagen der Schülerinnen und Schüler zur vollen Entfaltung zu bringen sind und ihnen ein Höchstmaß an Urteilskraft, gründliches Wissen und Können“ zu vermitteln sind. Ziel von Schule ist „die Heranbildung von Persönlichkeiten, die fähig sind, der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen zur Gewaltherrschaft strebenden politischen Lehren entschieden entgegenzutreten sowie das staatliche und gesellschaftliche Leben auf der Grundlage der Demokratie, des Friedens, der Freiheit, der Menschenwürde und der Gleichstellung der Geschlechter zu gestalten“.

Jeder junge Mensch, so heißt es in Paragraf 2, soll das Recht auf Bildung und Erziehung haben, „ungeachtet seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Herkunft; einer Behinderung, seiner religiösen oder politischen Anschauungen, seiner sexuellen Identität und der wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Stellung seiner Erziehungsberechtigten“. Die Fähigkeit zur vorurteilsfreien Auseinandersetzung mit den Meinungen der anderen und Konfliktfähigkeit (Konflikte erkennen, vernünftig und gewaltfrei lösen und Konflikte ertragen) werden als herausragende Ziele von Schule definiert. Die Entwicklung von interkultureller Kompetenz sieht die Schulgesetznovelle als Bedingung für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen.

Was ist dies anderes als ein Plädoyer dafür, die Auseinandersetzung um kulturelle und religiöse Differenz in der Schule zu stärken? Wer das neue Schulgesetz ernst nimmt, braucht kein Verbot!

Das heißt nicht, die Schulen allein zu lassen. Berlin braucht Regeln zum Umgang mit religiöser Differenz, die Schulen brauchen einen Rahmen, wie sie sich mit demokratiefeindlichen Bestrebungen egal welcher Couleur auseinandersetzen können und sollen. Und sie brauchen die sachlichen und personellen Voraussetzungen, um diese Herausforderung annehmen zu können.

Auch dies ist durchaus im Sinne des neuen Schulgesetzes. Schulen, heißt es dort, sollen „unter Einhaltung der Vorgaben der Dienstbehörde“ Selbstständigkeit und Eigenverantwortung im Hinblick auf den Unterricht, die Erziehung, das Schulleben, auf ihre personellen und sächlichen Angelegenheiten entwickeln. Entscheidungsgremium ist die Schulkonferenz, in der Schulleitung, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und Eltern vertreten sind.

Mein Fazit: Eine aktive, plural verfasste und aufmerksame Schule hat keine Angst vor dem Kopftuch und braucht kein Verbot. Denn sie ist ein Ort, an dem Mädchen und junge Frauen gestärkt werden, damit sie selbst ihren Weg und ihre Perspektiven finden – egal, was sie selbst oder ihre Lehrerinnen oder ihre Mütter oder wer auch immer auf dem Kopf haben mögen.

GÜNTER PIENING

Der Autor ist Beauftragter für Inte-gration und Migration des Senats von Berlin