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Archiv-Artikel

die kleine wortkunde Das neue Wohngefühl

Nylons kommen viel rum

Heute Berlin. Morgen London. Übermorgen New York. Das ist mittlerweile nichts Ungewöhnliches mehr. Das sind Jetsetter. Doch wie nennt man eigentlich diejenigen, die nicht nur überall rumkommen, sondern sich auch überall zuhause fühlen? Nylons.

Klingt eher nach Strumpfhosen als nach Weltenbürger. Das ist auch gar nicht so falsch. Denn der neue Modebegriff „Nylons“ beruht auf der gleichen Wortzusammensetzung, von der man früher dachte, dass sie auch für die Faser Nylon gilt.

Der Name setzt sich aus „NY“ für New York und „Lon“ für London zusammen. Den beiden Städten, in denen die Strumpfhosenfaser Nylon als Erstes produziert wurde. Später stellte sich jedoch heraus, dass das nicht der Wortursprung für die berühmte Faser war. Aber er ist es nun für eine neuetablierte Personengruppe.

„Nylons“ pendeln nicht nur zwischen London und New York, sondern auch zwischen vielen anderen Metropolen der Welt. Und sie lassen sich auch gerne für einen gewissen Zeitraum in einer Stadt nieder. Das Besondere dabei ist: Sie fühlen sich nicht nur überall zuhause. Sie haben sogar das Gefühl, in einer Stadt zu leben, die sich über mehrere Kontinente erstreckt.

„Viel Bewegung“, das scheint wohl das Schicksaal von „Nylon“ zu sein. Denn auch der Begriff für den Stoff „Nylon“ hat schon viel erlebt. Zuerst wurde „Nylon“ von der E. I. duPont de Nemours für Fasern aus Polyamid geprägt. Damit wollte der amerikanische Chemiekonzen DuPont „Nylon“ als Synonym für „Strümpfe“ etablieren. Ursprünglich hieß „Nylon“ aber „No-Run“. Das sollte damals eine Anspielung auf „keine Laufmaschen“ sein.

Aus Angst vor falschen Interpretationen des Begriffs machte man sich dann jedoch auf die Suche nach einem anderen Namen. Es sprudelte nur so Ideen für neue Wortkreationen: von „Nuron“ über „Niron“ bis hin zu dem bekannten „Nylon“.

Die letzte Silbe „on“ veränderte sich nicht mehr. Sie ist eine geläufige Endung für Fasern und wurde deswegen verwendet. Warum man sich letzlich für die erste Silbe „Nyl“ entschieden hat, ist allerdings nicht klar. Eine kuriose Wortherleitung gibt es noch obendrauf. Angeblich soll der Nylon-Erfinder Wallace Carothers mit den Worten „Now You Lousy Old Nipponese“ über den Erfolg der Faser gefreut haben. Da er mit der ersten synthetischen Faser endlich ein Konkurrenzprodukt zu der Naturseide aus Japan entwickelt hatte. Leider ist an der Story jedoch nichts dran. Denn die Faser wurde erst nach Carothers’ Tod auf den Namen „Nylon“ getauft.

Siebzig Jahre nach der Geburt des Begriffs wird „Nylon“ also nochmal rausgekramt. Schon wieder eine dieser Modeerscheinungen, die von alt auf neu machen und dabei ganz hip sein wollen. Die Frage ist jedoch, ob die „Nylons“ wirklich ein Phänomen sind, das einen eigenen Namen verdient hat. Denn mehr, als sich überall zuhause zu fühlen, tun sie nicht. Und ob das überhaupt geht, ist auch fraglich. Oder haben Sie schon mal jemanden getroffen, der auf die Frage, wo er herkommt, „Ich komme aus der Welt“ geantwortet hat? KATHARINA FINKE