die jazzkolumne : Unfreiheiten der Improvisation
Die Jazzpolitik ist in den Niederungen angekommen. Und die Zeit nach dem Diskurs ist eisig. Wer sich kürzlich beim achten Darmstädter Jazzforum Sinusschwingungen als Soundbeispiel für die aktuelle „Improvised Music“-Szene vorspielen ließ, schien noch gut beraten zu sein. Peter Niklas Wilson referierte über die neue Gefühllosigkeit in der Musik: Ja, es sei ihm beim ersten Hören auch so gegangen, tröstete er jene, die mit den Schwingungen ernste Probleme bekamen und den Saal verließen. Jeder, der an den Rändern steht und winkt, selbst wenn es nur ein Abwinken ist, wird erst mal ernst genommen und mitgeschwemmt.
Dass Jazzmusiker nichts anfangen können mit Typen, deren Performance so aussieht, als hätten sie gerade Sex mit ausrangierten Samplern und defekten Notebooks, mag nicht verwundern. Und dass Jazzforscher von einer Zeit nach dem Diskurs, über die Wilson spricht, fein die Finger lassen, liegt wohl im Objekt ihrer Begierde begründet.
Beim Darmstädter Jazzforum, der Biennale der deutschen Jazzforschung, ging es in diesem Jahr um Improvisation, dem einstigen Kernstück des Jazz. Und man konnte erfahren, dass nichts so regelbestimmt, ja unfrei war wie die so genannte freie Improvisation. Ekkehard Jost, dessen „Sozialgeschichte des Jazz“ unlängst in einer äußerst lesenswerten Neuausgabe bei 2001 erschienen ist, führte in einer intimen Detailstudie über ein Triokonzert mit dem Posaunisten Vinko Globokar vor, wie unterschiedlich drei Musiker die Improvisationen in ihrem Konzert bewerten.
Überhaupt kam bei diesem Jazzforum immer wieder die Frage auf, wann eine Improvisation denn gelungen sei und wann nicht. Der Pianist Joachim Kühn berichtete, dass man zuallererst doch selbst am besten wisse, ob man gut oder nicht gut gespielt habe. Wenn es denn mal nichts war und das Publikum trotzdem applaudiert, sei es aber ganz besonders peinlich. Dann am besten gar nicht hinschauen, sondern Augen zu und durch.
Doch was, wenn das Gelingen und Fortbestehen eines Festivals von Konstanten abhängt, die weder mit der Befindlichkeit der beteiligten Musiker noch mit dem Zuspruch des Publikums zu tun haben? Jüngstes Beispiel dafür ist das von der Berliner Free Music Production (FMP) veranstaltete Total Music Meeting (TMM), das vor 35 Jahren zum ersten Mal als eine Art Protestveranstaltung gegen den etablierten Anzug-Jazz bei den Berliner Jazztagen stattfand. Dem Total Music Meeting sind nun alle öffentlichen Gelder gestrichen worden.
Es war schon seltsam, als Jost Gebers und Peter Brötzmann letztes Jahr demonstrativ in der Backstage-Lounge des Berliner JazzFests tranken, während sich Cecil Taylor im Podewil auf seinen Auftritt beim TMM zu Ehren des kurz zuvor verstorbenen Peter Kowald vorbereitete. Gebers, Brötzmann und Kowald hatten einst die FMP gegründet. Doch seitdem Gebers die FMP „aufgelöst“ hat, herrscht spürbar Missstimmung.
Offiziell hatte Gebers dem zuständigen Abteilungsleiter beim Berliner Kultursenat, Manfred Fischer, 1999 mitgeteilt, dass das TMM ab dem Jahr 2000 nicht weitergeführt werden sollte. Daraufhin soll es aus dem Berliner Kulturetat noch eine Art Abfindung in Höhe von knapp 100.000 DM an die FMP gegeben haben. Der Haushaltstitel in Höhe von 224.000 DM, die jährlich für die FMP zur Verfügung standen, wurde jedoch ersatzlos gestrichen. Seitdem krebst man rum. Gebers will vor allem klargestellt wissen, dass er mit dem TMM nichts mehr zu tun habe. Die heutige FMP-Sprecherin und Organisatorin des TMM, Helma Schleif, kämpft zwar weiter, doch ohne die Hilfe aus der Szene gäbe es die Veranstaltung nicht mehr.
In einem Brief an den Berliner Kultursenator Thomas Flierl warnte der langjährige Leiter des Berliner JazzFests, Albert Mangelsdorff, kürzlich noch davor, das TMM auszuhungern. Berlin setzte ein wesentliches Stück internationaler Akzeptanz aufs Spiel. Nach 50.000 DM in 2001 gab es auch im vergangenen Jahr noch einen kleinen Zuschuss von 25.000 Euro für das Festival, doch ein Antrag auf knapp 38.000 Euro für das diesjährige TMM wurde abgelehnt.
Besonders peinlich ist dabei die Rolle eines so genannten Jazz-Beirats, der nicht mal davor zurückschreckte, dem Senat eine inhaltliche Begründung seiner Förderungsablehnung zu schreiben, in der neben gängigen Brutalitäten aufgeführt wird, dass das TMM ja großen Publikumszuspruch habe. Als wenn nicht ins Weltbild der Entscheider passen will, dass man mit frei improvisierter Musik überhaupt noch Publikum anziehen kann. Dass der Berliner Subventionstopf für freie Gruppen mittlerweile zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft ist, wird nicht erwähnt. Umso dringender muss eine Lösung her, die dem TMM für die Zukunft ein Minimum an Planungssicherheit bringt.
Das diesjährige TMM 2003 findet vom 6. bis 8. November im Berliner Podewil statt. Urs Jaeggi und andere Künstler haben Arbeiten gespendet, deren Erlös zur Finanzierung des Total Music Meetings beitragen.
CHRISTIAN BROECKING