die heimat im test. heute: reisen mit hartmut mehdorn von WIGLAF DROSTE :
Als ich voll Unschuld war und naiv bis zur Weltfremdheit, glaubte ich, die Deutsche Bahn kümmere sich ums Bahnfahren – um Züge und Schienen und Fahrpläne, und das alles, damit Menschen trocken, bequem, sicher und zügig durchs Land kommen. Heute, als langjährig viel fahrender Bahnkunde, weiß ich, dass die Bahn sich um alles Mögliche kümmert – nur nicht um die Belange, für die sie eigentlich da ist.
Tolle Privilegien schenkt die Bahn an ihre so genannten „bahn.comfort“-Kunden aus: Eine Schaffnerpfeife aus Metall, die man auch als Schlüsselanhänger verwenden kann, bekam ich frei Haus! Einen Gutschein über zehn Euro zur Verrechnung beim Fahrkartenkauf! Ein „Service-Brief“ behelligt mich regelmäßig mit Rabattangeboten von Hotels und Autovermietern. Als bislang unappetitlichstes aller Vor- und Anrechte darf der „bahn.comfort“-Kunde richtig asozial die Sau rauslassen und Mitfahrer von Plätzen vertreiben, die für „bahn.comfort“-Kunden reserviert sind.
Trotzdem hänge ich an der Bahn – die Alternativen sind so erbärmlich. Bei meinem letzten Flug mit der Deutschen British Airways wurde ein älterer Mann in der Sitzreihe vor mir von der Flugbegleiterin scharf ins Gebet genommen: „Sie haben gerade auf der Toilette geraucht! Sie wissen, dass das strafbar ist?! Das wird zur Anzeige kommen!“ Dieselbe Stimme empfahl den Passagieren nach der Landung, sie möchten sich gratis einen „Dextro Energy Power Drink“ mitnehmen: „Damit Sie voller Energie in den Nachmittag durchstarten können.“ Denn das Durchstarten ist Pflicht, speziell bei Reisen direkt in den Schwachsinn.
Im Individualverkehr wagt sich der Autohersteller VW auf sehr privates Terrain vor und lockt potenzielle Käufer mit der Idee der Reproduktion: „Genug Platz für die Familie. Oder fürs Familiengründen. Mehr als ein Familienauto“, heißt die Reklame für einen neuen Kombi.
Und die Bahn? – Setzt noch eins drauf und herrscht die Kundschaft in Anzeigen regelrecht an, verhütungsfrei übereinander herzufallen: „Setzen Sie Kinder in die Welt. Familien fahren jetzt so günstig wie nie.“ Das ist die letzte Hoffnung des Bahnchefs Hartmut Mehdorn: ungeschützter Geschlechtsverkehr und die daraus hervorgehenden Kleinkinder, die noch glauben, was er ihnen vorlügt.
Wann immer man Bahn fährt, Mehdorn und sein vorlaut alles versprechender und nichts haltender Stil reisen mit – ob ein Zug einfach ohne Erklärung ausfällt oder 70 Minuten Verspätung hat. Warum eigentlich nicht 70 Stunden? Wer Bahn fährt, muss Geld, Zeit, Geduld und Nachsicht mitbringen, und von allem reichlich.
Selbst noch im simplen Nahverkehrszug macht sich die großspurige, euphemistische PR-Welt breit. Das Lätzchen auf der Kopfstütze im Regionalexpress hat die Aufschrift: „Reisen wie auf Wolke 7 – 1. Klasse Komfortbereich“. Ich will nicht auf einer Wolke 7 reisen, die es dann sowieso nicht gibt – reisen wäre völlig ausreichend. Aber genau dafür fühlt sich die Bahn nicht zuständig: sich darum zu kümmern, dass man einfach nur Bahn fahren kann.