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Archiv-Artikel

die gelben seiten Glaube, Tratsch und 10 Millionen Euro

Hat sich Liu Xiang gegen sein Scheitern bei 110 Meter Hürden versichern lassen?

Lin Dan ist Weltmeister. Disziplin: Badminton. Liu Xiang war Weltmeister: 110 Meter Hürdenlauf. Lin scheiterte in Athen. Liu siegte dort. Gibt es noch einen Unterschied zwischen den beiden chinesischen Athletenstars? Die Webfreunde, etwa auf military.club.china.com, haben einen gefunden: Lin Dan habe kurz vor den Spielen in Athen den ehemaligen KP-Vorsitzenden Mao verlacht. Darum scheiterte er dort. Diesmal in Beijing, laut dem Sportler persönlich, habe er mit der größten Ehrfurcht Mao angebetet. Das Ergebnis ist hinlänglich bekannt, ebenso der Umstand, dass Liu Xiang wegen Fußverletzung das Stadion tränenreich hat verlassen müssen. Ob Liu Xiangs Scheitern auch mit weniger Respekt vor dem Vorsitzenden Mao zu tun hat, weiß niemand. Jedoch wurde verbreitet, er habe sich gegen das Scheitern versichert, mit umgerechnet 10 Millionen Euro. Noch sei unklar, ob die Versicherung für die verpasste Chance des Sportstars aufkommt oder nicht.

Fest steht bei Lin Dan: Nicht wenige feiern ihn, weil er, wie es heißt, wenigstens einen Glauben habe, und sei’s auch nur ein ideologisierter Glaube. Glaube wirke nun einmal Wunder. Gegner dieser These müssen, da es sich nun um den Glauben an den Vorsitzenden Mao handelt, gleich schwerste Geschütze auffahren: „So? Nach dieser Logik müssten wir doch wohl auch Sportlern zujubeln, die an Falun Gong glauben?“ Da dieser Glaube in China ausdrücklich verboten ist, reagiert aus dem Lager der Wunderglaubenden keiner mehr. Hingegen überwiegt bei Liu Xiang zwar die Sympathie der Masse, man könne nun einmal nicht immer siegen. Oder: Hauptsache, Liu Xiang empfinde bald schon keinen Schmerz mehr. Dennoch verharrt ein Hauch fast boshafter Zweifel beim Cyberspace-Tratsch: Wer weiß, ob Liu Xiang nicht schon vorher ganz genau wusste, mit seinem Fuß werde er nicht auftreten, schon gar nicht siegen können.

Ob der Sportstar nicht zum Filmstar mutiert sei und einen tragischen Helden gespielt habe? Beweise gibt es für diese Vermutung nicht. Aber das überzeugendste Indiz ist die Versicherungspolice. Bewirken nicht 10 Millionen Euro auch Wunder, sogar jedes? SHI MING

Shi Ming, 51, kommt aus Peking und lebt als Journalist in Köln