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Archiv-Artikel

die dorfschenke. eine brandenburger idylle von ULRIKE STÖHRING

Doch, es müsse sein, beharrt Frau Burg verwegenen Blickes und wischt alle Einwände mit einer energischen Handbewegung davon. Die kulturellen Zentren eines unbekannten Landstriches müssten unbedingt besucht und goutiert werden, und seien sie noch so zweifelhaft.

Nur befinden wir uns nicht etwa in Vatikanstadt, sondern im Dörfchen B. in Brandenburg. Es gibt eine Menge grüner Hügel, einen kleinen See und sogar einige bewirtschaftete Felder ringsum. Der Ort rottet an seinen Rändern vor sich hin, in einer riesigen Milchviehanlage, die den Blick auf den See versperrt, leben nur noch Schwalben. Die Arbeitslosenrate unter den Ureinwohnern beträgt geschätzte 10.000 Prozent.

Bedächtig sitzt der Dorfbewohner schon früh im Hofe auf dem Bierkasten und strengt sich an, die Flaschen bis zum Mittagessen geleert zu haben. Da sonst nix los ist, kriegt der Junior hin und wieder eine gegongt. Das hat noch keinem geschadet, und aus Vaddern ist schließlich auch was geworden, meint der Bierkastenbesitzer und knurrt ein wenig, wenn er nicht an der Flasche saugt.

Frau Burg ist gänzlich unsentimental, sie ist zum Urlaub fest entschlossen und möchte einen Rundgang durch das Kaff unternehmen. Zunächst wird das Gotteshaus besucht. Davor modern die Gebeine der ehemaligen Gutsherren, deren Nachfahren ganz offensichtlich auf die Rückübertragung ihres Erbes dankend verzichtet haben. Alle übrigen Grabsteine verraten: Man stirbt recht früh in dieser Gegend. Die Kirche scheint nicht oft genutzt, obwohl der Herr am Kreuz erstaunlich ausmodulierte Muskelpartien zu bieten hat. Der Staub auf den Kirchenbänken verführt zum Herzchenzeichnen und macht durstig. Frau Burg hat jetzt Durst. Sie will allen Ernstes die, nun ja, Gastronomie des Ortes testen und steuert auch schon entschlossen zu auf ein unglaubliches Bauwerk.

In früheren Zeiten angeblich eine Schmiede, befindet sich nun in seinem Inneren eine Art Trinkhalle mit dem Flair des Obdachlosenasyls von Bukarest-Nord. Vorsichtig treten wir ein, denn der Fußboden, auf dem in grauer Vorzeit wohl ein Teppichboden ausgelegt wurde, scheint zu leben. Und auch sonst sind Lebensformen durchaus vorhanden. Drei besonders ausgefallene männliche Dorf-Exemplare sitzen um den Tisch und heben kaum die Köpfe. Frau Burg ruft einen fröhlichen Gruß, der von den Insassen unerwidert bleibt. Ungerührt strebt Frau Burg dem Tresen zu.

Die Dame hinter der Theke ist sichtlich verwirrt über die Anwesenheit von Fremdlingen. Unschlüssig überlegt sie, ob es nun angeraten sei, die ausgetrunkenen Biergläser, die vor ihr stehen, doch noch einmal abzuwaschen, bevor sie sie für uns neu befüllt. Ein Blick ins Abwaschwasser steigert Fluchtgedanken. Dass auch Frau Burg inzwischen leise Bedenken beschleichen, ist daran zu merken, dass sie ausdrücklich zwei „kleine“ Bier bestellt. Es dauert eine Weile, bis das handwarme Getränk vor uns steht, mutig hebt Frau Burg trotz allem ihr Glas an die Lippen: „Auf den Herpes!“, prostet sie in die Runde und stimmt ein Hohelied auf die wenigen noch erhaltenen Dorfkneipen in gottverlassenen Gegenden an. Die Gläser kann man ja notfalls mitbringen.