die ampütte – trost der ungetrösteten von WIGLAF DROSTE
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Die „Ampütte“ in Essen ist ein Lokal, in dem der schlimmste Hunger gestillt wird, der Nachthunger. „Kohldampf! Abfüttan! Ampütte!“, schallt es morgens um drei durch den Stadtteil Rüttenscheid. Schön noch die Plauze voll mit Warm! Nicht zu McDreck, dem Hauptquartier der Essener Polizisten und sonstigen Kleinkriminellen. Sondern: in die „Ampütte“.

Hier bekommt der Besucher unter anderem „pikantes Goulasch“ geboten – aber das ist für den Fortgeschrittenen, der eine neue Sportart ausprobieren will: Eating beziehungsweise sogar Extrem-Eating. Also muss er lernen, Pils und halben Hahn mit Pommes zu lieben; es bleibt ihm auch gar nichts anderes übrig. Mancher allerdings packte das in der Friteuse ertränkte und zerbrutzelte, fetttriefende Halbtier auch schon mit bloßen Händen und wrang es über einem großen Aschenbecher aus, bis das Fluppengrab randvoll und das Hähnchen einigermaßen entfettet war. Um es dann trocken zu verschlingen, während der „Koch“ sich nennende Unhold daneben stand, mäßig interessiert zuschaute und am Ende „Ah ja. Geht doch!“ grunzte. Ein ehemaliger Freund selig aber, der in der „Ampütte“ einmal die so genannten frischen Muscheln bestellte, wand sich nur drei Stunden später in rasendsten Schmerzen. Er rief den Notarzt an und wimmerte sein Problem durch den Hörer. „Muscheln?“, fragte der Arzt. „Wo haben Sie die denn gegessen?“ – „Ampütte!“, ächzte der Gequälte. Der Arzt schwieg verdächtig lange – um dann zur finalen Ferndiagnose zu schreiten: „Ampütte? Dann kann ich nichts mehr für Sie tun.“ Und legte für immer auf.

Manchmal wird der Gast aber auch Zeuge, wie in der Kaschemme zarte Bande geknüpft werden durch bonobohafte, vorbildlich freundliche Darreichung dieser Verneinungen von Speise. Sogar inmitten des Garküchen- und Friteusensumpfs kann Glück überleben. Mit angehaltenem Atem sieht man, wie ein verliebter junger Mann einer schönen Frau in einem Akt tiefer, wahrer Zuneigung eine der gefürchteten Ampütte-Frikadellen anbietet. Sie, im Gegensatz zum jungen Mann um die Heimtücke dieses Geschenks wissend, nimmt es dennoch ernsthaft und huldvoll an. Man erlebt einen der raren Momente, in denen eine noble Geste die schäbige Wirklichkeit überwindet – zumal die gnädigen Mächte der Romantik und des Senfs sogar diese Frikadellen gut aussehen lassen. So gütig, so himmlisch kann sie sein, die Welt des Essens.

Aber auch die Aufkündigung der Liebe nach Art des Hauses erlebt der Nachtgast. Ein trunkenes Pärchen am Tresen streitet; sie hat genug und will deshalb gehen, er hat mehr als genug und will deshalb unbedingt bleiben: Das ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen. Sie quengelt, er nöckelt, irgendwann drückt er seinen Hirnschwamm aus, grob und in der reformierten Grammatik des Ruhrgebiets: „Dann geh doch ßu Hauße, du Scheiße!“

Etwas später erklingt, wie jeden Morgen, das Rausschmeißerlied: „Gute Nacht, Freunde“, in der Version von Inga und Wolf. Die „Ampütte“, Trost der Ungetrösteten, schließt die Pforten der Wahrnehmung. Von innen.