deutschland schwächelt : Paris führt die Europäische Union
Pariser und Berliner Beamte waren in den letzten Monaten wirklich nicht zu beneiden. Eine Idee wurde gesucht. Ein Symbol. Irgendetwas, mit dem man dem verstaubten deutsch-französischen Verhältnis aus Anlass des 40. Jahrestags des Élysée-Vertrags neues Leben einhauchen konnte. Und so setzte man zunächst auf das ganz Große: Der Freundschaftsvertrag sollte neu geschrieben werden. Doch dann kam die Ernüchterung. Man wusste nicht, was in einem solchen neuen Freundschaftsbeweis stehen sollte.
Kommentarvon SABINE HERRE
Dabei nahmen die deutschen und französischen Politiker das Problem zu Recht ernst. Für sie ging es um mehr als nur eine Parlamentarier-„Sause“ im Schloss zu Versailles, die im Mittelunkt der (boulevard)journalistischen Begleitung des Élysee-Jahrestages stand. Denn eine EU der 27 Mitgliedsstaaten wird ohne engste deutsch-französische Kooperation zu einer bloßen Freihandelszone verkommen. Daher gab es sofort nach dem Ende der Kohabitation, die die französische Außenpolitik jahrelang gelähmt hatte, ab Mitte dieses Jahres mehrere deutsch-französische EU-Initiativen.
Doch was zunächst wie ein Neustart des deutsch-französischen Motors aussah, war tatsächlich die deutsche Kapitulation vor den französischen EU-Vorstellungen. Die französischen Bauern erhalten weiter die Subventionen, die Deutschland bezahlt. Bei der gemeinsamen Sicherheitspolitik wird Paris, das seine Verteidigungsausgaben erhöhte, dominierend sein. Und auch beim jetzigen Vorschlag zu gleich zwei EU-Präsidenten hat sich Chirac durchgesetzt. Zwar wird der Kommissionspräsident – wie von Berlin gewünscht – gestärkt. Doch wer interessiert sich für die Äußerungen eines Romano Prodi zum Irakkrieg, wenn der künftige Superpräsident der 27 Regierungschefs, heißt er nun Blair, Chirac oder Aznar, das Wort ergreift?
Für die deutschen Niederlagen gibt es zwei Ursachen. Eine prinzipielle und eine rot-grüne. Erstens ist es in der Europäischen Union stets schwieriger, Vorschläge durchzusetzen, die Brüssel stärken – denn das erfordert, dass die Mitgliedsstaaten für ihre eigene Entmachtung stimmen. Zum anderen aber ist in Paris die derzeitige Schwäche der Bundesregierung natürlich wahrgenommen – und ausgenutzt worden. Ein französischer Präsident, der nie stärker war als heute, hat die Führung der EU in die Hand genommen. Vielleicht dürfen die Deutschen dann ja einmal den Kommissionspräsidenten stellen.