der wochenendkrimi : Trieb und Verzicht
„Tatort: Märchenwald“, So, 20.15, ARD
Ohne Pyjama geht sie nicht zu Bett. Im Leben von Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) ging es bislang so anstößig zu wie in einer Doris-Day-Komödie, selbst vor ihrem WG-Kameraden hielt sie stets eherne sittliche Codes ein.
Ihrem Image als Ermittlerin hat der Triebverzicht nicht geschadet, denn im deutschen Täterrätsel wird Enthaltsamkeit meist mit Professionalität gleichgesetzt: je kleiner die Libido, desto größer die berufliche Kompetenz.
Im fünften Fall zeigt sich diese ewig sauber frottierte Jungfer des Wochenendkrimis nun aber endlich abenteuerlustig. Ein Mord führt sie aus Hannover in die Provinz zwischen Hameln und Bad Pyrmont, wo sie zur Übernachtung einen babyspuckefarbenen Schlafanzug ersteht, für den sich jede Zehnjährige schämen würde. Lindholm fällt die Lächerlichkeit der Bekleidung erst auf, als sie darin auf dem Balkon ihrer Pension einem Fremden (gewohnt ölig: Hannes Jaenicke) gegenübersteht, dem sie sich noch in der gleichen Nacht hingibt.
Der Fall selbst gerät angesichts dieser überraschenden Charakterwendung ins Hintertreffen. Es geht um die Leiche in einem Jagdrevier, die auf ein ungesühntes Verbrechen aus DDR-Zeiten verweist. Ein ambitionierter Plot zwar, der hier aber mit der gleichen Nachlässigkeit abgespult wird, mit der die verliebte Kommissarin ihre Arbeit verrichtet.
Es gilt nach dieser erotisierten Episode (Regie: Christiane Balthasar, Buch: Martina Mouchot, Orkun Ertener) also umso mehr die Regel: Nur eine traurige Ermittlerin ist eine gute Ermittlerin.
CHRISTIAN BUSS