der rote faden: Österreichs Politik, Censor-Beep und Selbstzensur
Durch die Woche mit Robert Misik
Unlängst ergab eine Umfrage, 48 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher seien der Meinung, die ultrarechte Regierung spalte das Land. Ulkig: Noch bei der Einschätzung, ob das Land gespalten sei, ist das Land so ziemlich in der Mitte gespalten. Wenn eine Hälfte der Bevölkerung der Meinung ist, die Regierung spalte das Land, dann ist es offensichtlich ein Faktum, dass die Regierung das Land spaltet. 33 Prozent sind übrigens der Meinung, die Regierung begünstige das Aufkommen des Rechtsextremismus. Eine erkleckliche Zahl. Andererseits kann man natürlich sagen, dass es erstaunlich ist, dass über 60 Prozent der Befragten offenbar etwas anderes wahrnehmen. Schwer zu sagen, wie die zu der absurden Meinung kommen, dass die Wiener Regierung den Rechtsextremismus nicht fördere. Diese 33 Prozent sind also viele und wenige zugleich.
Nur gesetzt den Fall, 50 Prozent der Bevölkerung wären der Meinung, dass die Regierung Demokratie, Pluralismus und Freiheit untergrabe, so wäre das natürlich ein alarmierend hoher Anteil. Aber zugleich könnte man natürlich einwenden, dass es doch keineswegs alarmierend sein kann, wenn bei Meinungsumfragen solche Dinge noch abgefragt werden dürfen, ja, mehr noch, wenn die Leute noch den Mut aufbringen, bei Meinungsumfragen so kritische Antworten anzukreuzen.
Sollten also 50 Prozent der Bürger und Bürgerinnen die Meinung bekunden, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, dann ist diese Meinungsbekundung möglicherweise etwas, was die Regierung zu ihrem eigenen Vorteil ins Treffen führen kann, oder? Sie könnte dann etwa die Sprachregelung ausgeben, dass diese Meinungsbekundung der Bürger und Bürgerinnen von der hohen Qualität der Meinungsfreiheitssicherung im Land zeugt. Klingt crazy? Warten Sie!
Tatsächlich verfahren die Regierungsparteien bei uns sehr gerne nach diesem Muster. Wenn beispielsweise der ORF darüber berichtet, dass Österreich im Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen weit abgestürzt ist, dann sagen Spindoktoren der konservativen Kanzlerpartei gern zweierlei: Einerseits, dass die Medienfreiheit doch offensichtlich ungefährdet ist, wenn der ORF völlig angstfrei noch eine solche Meldung verbreiten kann – und andererseits, dass die ORF-Reporter miese, unobjektive Linksjournalisten seien, weil sie diese Meldung verbreiten. Ich halte nicht für sicher, dass sie das danach noch weiter angstfrei tun.
Beim rechten Koalitionspartner ist man sowieso offenherziger: Dessen Generalsekretär drohte ORF-Anchor Armin Wolf dieser Tage live im Studio, dessen fiese Fragen dürften nicht „ohne Folgen“ bleiben. Was die Partei von Sebastian Kurz angeht, die früher ÖVP hieß, so hat diese noch nicht ganz eine Linie gefunden. Wird sie von publizistischen Stimmen, aus Medien oder auch der Zivilgesellschaft kritisiert, dann nutzt sie diese Kritik für die Bemerkung, dass die Kritik doch wohl überzogen sein muss, da man in Österreich schließlich immer noch alles kritisieren darf. Zugleich versucht sie freilich alles, damit kritische Stimmen in der Öffentlichkeit eher nicht mehr vorkommen, und wenn doch, dann diskreditiert, lächerlich oder sonst wie runtergemacht werden.
Ich finde das irgendwie unlogisch. Wenn ich die Vorwürfe, ich würde beim Regieren ins undemokratische Sturzwasser geraten, würde entkräften wollen, würde ich die paar letzten verbliebenen Dissidenten nachgerade hegen, pflegen und hofieren. Aber gut, es kann hier zu Zielkonflikten kommen.
Manchmal zu richtig ulkigen. Unlängst übte sich der ORF angstgetrieben in Selbstzensur, indem er ein Satirevideo mit einem Censor-Beep versah, in dem die Laufbahn des Vizekanzlers mit dem Satz „vom Neonazi zum Sportminister“ zusammengefasst wurde. Dabei hält kaum jemand für denkbar, dass der Wahrheitsbeweis für die Behauptung, der Vizekanzler sei ein „ehemaliger Neonazi“, misslingen könnte. Auch dürfte sich der Vizekanzler die vorauseilende Selbstzensur des ORF kaum gewünscht haben, denn das machte die Thematik, ob man ihn denn „ehemaligen Neonazi“ nennen dürfe, erst so richtig groß. Wobei „vom Pieps zum Sportminister“ die Karriere des FPÖ-Anführers und Vizekanzlers ohnehin auch schön beschreibt.
Unser Pieps hat sich neuerdings auch der paranoiden Idee vom „Großen Austausch“ verschrieben, die von den Identitären und dem Neuseeländischen Christchurch-Attentäter vertreten wird. Der Kanzler wiederum gab auf die Frage, was er zu den klar rechtsextremistisch en Wortmeldungen seines Vizes sage, die bizarre Antwort, er halte davon nichts, da er die Theorie vom Großen Austausch für falsch halte. Da ja etwa mehr Syrer nach Österreich flüchten als Österreicher nach Syrien, sei der Begriff „Austausch“ fehl am Platze.
Dieser Dadaismus ist so gaga, dass einem der Mund offen stehen bleibt.
Nächste Woche Ebru Taşdemir
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