der rote faden: Weltschmerz mit Marmor und Zitroneneis
Durch die Woche mit Johanna Roth
Eigentlich nehme ich ja jeden schlechten Witz mit, aber im Mai nach Mailand zu fahren, war mir dann doch zu hart. Also habe ich das noch fix am letzten Aprilwochenende erledigt. Und ich sage Ihnen, es lohnt sich. Mailand ist wie Rom ohne Touristen. Also eine schöne, entspannte, rundum sympathische Stadt, in der man an beinahe jeder Ecke zu normalen Preisen verrückt gutes Essen bekommen kann und sich die Kellner tatsächlich freuen (oder zumindest noch die Kraft haben, Freude vorzutäuschen), wenn man als Nicht-Italiener ab dem zweiten Aperitivo stur auf „Italienisch“ bestellt. Menschenmassen gibt es hier natürlich auch, aber die verteilen sich hübsch übersichtlich um eine von zwei zentralen Sehenswürdigkeiten der Stadt, den Dom. Die andere, da Vincis „Abendmahl“, war für die Aprilwochenenden bereits im Januar ausverkauft.
Aber auch für das Haus Gottes muss man sich zunächst anstellen, um eine Nummer zu ziehen, mittels derer man dann einem Ticketschalter zugeteilt wird, an dem man abermals eine halbe Stunde wartet, um dann einen zweistelligen Betrag hinzulegen und die nächste Schlange aufzusuchen, an deren Ende man wahlweise 120.934.685.326 Stufen einen sehr engen und fensterlosen Turm hinaufklettern oder mit einem Fünfpersonenaufzug aufs Dach fahren kann. Die Aussicht ist dann aber wirklich wunderschön, man beginnt zu schweigen, betrachtet die unfassbare Anzahl an Wasserspeiern und träumt sich so durch die Jahrhunderte ihrer Entstehung – bis einem Klaus und Hilde aus der Pfalz die Nordic-Walking-Stöcke in die Wirbelsäule rammen.
Der Glaube muss eben immer wieder auf die Probe gestellt werden, das wissen die Italiener nicht erst seit dem hochtragischen Mittwoch dieser Woche, als die AS Roma trotz 4:2-Sieges nicht ins Champions-League-Finale kam. Dabei ist das einzig Bessere am Liverpool FC die Hymne: „You’ll never walk alone“. Schon schön. Melodisch recht anspruchsvoll allerdings auch, bei uns im Mittelstufenchor klang es schlimmer als Zwölftonmusik, aber die LFC-Fans singen das auch nach fünf Pints und mit Tränen in den Augen noch in unübertroffener Perfektion.
An Fangesänge ist nicht zu denken zwischen den Überresten der Basilica di Santa Tecla. Im Untergeschoss des Mailänder Doms liegen die Überreste dieser Kirche aus dem 4. Jahrhundert, beeindruckend auch deshalb, weil man hier exemplarisch betrachten kann, wie wenig Kunst doch mit individuellem Genie und wie viel mit technischer Weiterentwicklung zu tun hat. Rundgesichtige Königsfiguren in Rot und Blau zieren die Ruinen, die aussehen, als hätte Mr. Bean höchstpersönlich sich hier verewigt, während ein Stockwerk höher, Abteilung „Marmor/Opulenz“, riesige Gemälde hängen, auf denen jedes Fältchen an Marias Auge noch aus fünf Meter Entfernung zu erkennen ist.
Ob die Frühchristen ihre Malerei eigentlich für Kunst hielten? Wie hätten Rembrandts Werke ausgesehen, wäre er tausend Jahre früher geboren worden? Und wo sind wir vorhin noch mal an einem Trinkwasserbrunnen vorbeigelaufen? Existenzielle Fragen schießen einem durch den Schädel, bis er wehtut und man den restlichen Aufenthalt mit Zitroneneis und Negroni sbagliato verbringen muss.
Aber der Weltschmerz holt einen natürlich immer wieder ein, in diesem Fall pünktlich am Montag, als der israelische Ministerpräsident in einer dem Anlass völlig unangemessenen Situationskomik gegen das Iran-Atomabkommen protestierte: mittels einer Leinwand, auf der meterhoch „Iran hat gelogen“ stand. Politische Ikonografen weltweit brachen in kollektives Schluchzen aus, aber immerhin musste drüben in Washington niemand mehr ein schönes buntes Bild für das Briefing des Präsidenten malen. Neben der Leinwand standen mit schwarzen Tüchern verhüllte Kästen, ich rechnete fest mit Zylinder und weißem Kaninchen, aber stattdessen enthüllte Netanjahu mit lässiger Geste: Aktenregale. Wäre nicht das „Tagesschau“-Logo oben im Eckchen zu sehen gewesen, ich hätte das Ganze für eine besonders lahme Ausgabe von „Die Anstalt“ gehalten. So viel ist mal klar: Künstlerisch-bildsprachlich scheint sich die Menschheit inzwischen rückwärts zu entwickeln.
Die Diplomatiebilanz dieser Woche musste also dringend gerettet werden. Beflissen dankte denn auch Emmanuel Macron, französischer Präsident auf Staatsbesuch in Australien, nicht nur seinem Amtskollegen Malcolm Turnbull, sondern auch dessen „delicious wife“ Lucy für den netten Empfang. Das französische „délicieux“ heißt nämlich ungünstigerweise nicht nur lecker, sondern auch goldig oder bezaubernd. Peinlich, lästerte die Weltöffentlichkeit. Die soll froh sein, dass Macron nicht in Köln war: Bei einem „Lecker Mädche“ in Richtung Bundeskanzlerin hätte es nachher noch ein deutsch-französisches Atomabkommen gebraucht.Nächste WocheNina Apin
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