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der rote faden Wenn die Welt untergeht,zieh nach Österreich

nächste wocheRobert Misik Foto: privat

durch die woche mit

Saskia Hödl

Privilegien

Wussten Sie schon, dass man in Berlin rund vier Wochen auf eine Kfz-Zulassung warten muss? Oder dass Eltern von Neugeborenen hier bis zu drei Monate auf die Geburtsurkunde warten müssen – was heißt, dass sie auch auf ihr Elterngeld und die ­Krankenversicherung so lange warten müssen? Der Zustand der Berliner Stadtverwaltung ist dermaßen marode, dass einem hier ein einfacher Termin beim Amt, der noch im selben Monat liegt, wie ein unsagbares Privileg erscheint, das keinesfalls noch mit Geld bezahlbar und höchstens mit einem frommen Leben und ewiger Dankbarkeit aufzuwiegen ist. Was es bedeutet, gewisse Privilegien zu genießen, das war auch gut an den Reaktionen der Berliner Polizei zu sehen, nachdem drei Hundertschaften, die zur Unterstützung zum G 20 Gipfel nach Hamburg gereist waren, wieder nach Hause geschickt wurden, weil sie bei einer Party in ihrer Unterkunft, einem Containerdorf, dermaßen auf die Kacke gehauen haben, dass es sogar spätpubertierende Abiturienten erröten ließe. Von Alkohol, Sex und Urinieren in der Öffentlichkeit, und einer Polizistin, die nur in Bademantel und Dienstwaffe auf einem Tisch tanzte, war die Rede. Für Beamte auf einer Dienstreise ist das schon eine Leistung. Noch schlimmer aber, dass die Hamburger Polizei durchklingen ließ, man habe so etwas schon erwartet. So als habe man den peinlichen Großcousin mit Hang zu Alkoholismus aus familiärem Pflichtbewusstsein zu seiner Hochzeit eingeladen, wohl wissend, dass das kein gutes Ende nehmen kann.

Doch der Höhepunkt der ganzen Peinlichkeit waren die anschließenden Erklärungsversuche der Berliner Polizei. Die Beamten hätten einen Geburtstag gefeiert. Und es habe ja auch keine Unterhaltung in der Unterkunft gegeben, nicht einmal einen Fernseher. Dass es zwischen Nichtstun und einem alkoholischen Gruppenexzess auf Dienstreise noch ein oder zwei Grautöne gibt, geschenkt. Aber man könnte ja von nun an bei ausufernden WG-Partys in Berlin, wenn die Polizei dann total menschlich an der Tür klingelt, auch mal sagen, der Fernseher sei eben kaputt, und dann mal sehen, wie gut das läuft.

Prollizei

Privilegien zu erkennen, ist das eine, sich von ihnen zu trennen, ist das andere. Gerade einem gewissen Typ Mensch fällt diese Trennung besonders schwer. Mindestens genauso schwer ist es aber für alle anderen mitanzusehen, wie sich diese Leute geifernd daran klammern. Leute, deren Selbstwertgefühl gänzlich darauf baut, dass sie ja von Natur aus etwas Besseres sein müssten.

So war es etwa auch nicht schön zu sehen, wie der CDU-Abgeordnete Thomas Bareiß aus Baden-Württemberg im Interview mit dem Tagesspiegel am Donnerstag fadenscheinige Erklärungen formulierte, weshalb er am Freitag nicht für die Ehe für alle stimmen würde. Zum einen, so Bareiß, drücke der Name „Ehe für alle“ Beliebigkeit aus. Leider fragte die Interviewerin nicht nach, ob er denn auch denke, dass Frieden, Freiheit und gleiche Rechte für alle für seinen Geschmack ebenfalls zu beliebig seien. Ob „Frieden nur für manche“ seiner Meinung nach besser sei. Jenen, die dann zu spät zur Friedensverteilung kommen, könnte man ja sagen: Frieden ist gut, aber heute leider aus.

Kindeswohl

Zum anderen meint Bareiß, dass ein Argument gegen die Ehe für alle das Kindeswohl sei. Seiner Meinung nach bestünde die Idealform einer Familie aus Kindessicht aus Mutter und Vater. Leider fragt auch hier niemand nach, wie gut das denn bisher funktioniert habe mit seinem heiligen Gespann aus Mutter und Vater, wenn das betroffene Kind sich in einer Adoptionssituation wiederfindet.

Frieden für alle

Aber Schwamm drüber. Nun ist es ja entschieden. Nicht, dass sich Deutschland etwas darauf einbilden könnte im Jahr 2017. Immerhin waren die Niederlande schon vor 16 Jahren dran, später dann Belgien, Norwegen, Schweden, Dänemark, Island, Portugal, Frankreich, Großbritannien Luxemburg und Finnland. Ja, selbst in Spanien, Irland und Südafrika ist die Ehe für alle schon erlaubt.

Aber wissen Sie, welches Land hier fehlt? So ein kleines, konservatives Land, das ein ausgesprochenes Talent dafür hat, ständig den Schuss zu überhören? Nein, nicht die Schweiz – also auch –, aber es geht um Österreich. Am Donnerstag wurde bei einer Abstimmung im Nationalrat in Wien die Ehe für alle von FPÖ und der „neuen“ ÖVP verhindert. So viel dazu, wie viel Neues Sebastian Kurz in die konservative alte Partei bringt.

Das Ergebnis ist insgesamt beschämend für Österreich. Aber nicht umsonst gibt es diesen einen alten Witz: „Wenn die Welt untergeht, zieh nach Österreich – da passiert alles zehn Jahre später.“

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