der rote faden : Für Sie frisch gebacken: Macrons mit Hartzer-Käse-Füllung
durch die woche mit
Nina Apin
Der Wahlsieg von Emmanuel Macron war erst ein paar Stunden alt, da schrieb mir eine frankophile Freundin euphorisiert: „Lass uns zusammen Mac(a)rons backen!!“ Aber ich hatte keine Lust. Klar, es war noch mal gut gegangen. Aber was soll so toll daran sein, dass 33,9 Prozent der Franzosen einer Partei ihre Stimme gegeben haben, die aus der EU rauswill?
Und dann sind Macarons ja ein ziemlich empfindliches Gebäck: Die zarten Mandelbaiserschalen brechen oder brennen an, die Füllung ist, zumindest wenn man klassischen Rezepten folgt, leicht verderblich – so wie es ja auch keineswegs ausgemacht ist, dass Macron mit der Neulingsmannschaft, die er sich zurzeit aus seiner „En Marche“-Bewegung zusammensucht, bei den Parlamentswahlen im Juni so was wie eine echte Hausmacht zustande kriegt.
Könnte genauso gut sein, dass Le Pen in den Wahlkreisen so viele Mandate holt, dass sie nicht nur Macron das Leben schwer machen, sondern ihren bisher hauptsächlich als Krawallvögeln aufgefallenen Leuten auch noch ein praktisches Polittraining angedeihen lassen kann – um in fünf Jahren umso effektiver losschlagen zu können.
„Du bist depressiv“, ließ mich die Freundin wissen. Kann schon sein – schließlich war es bis Mitte der Woche draußen so unwirtlich, dass ich wieder in längst überwunden geglaubte Wintergewohnheiten zurückfiel: Schokolade und Rotwein, Sachbücher mit alarmistischem Inhalt abends auf dem Sofa. Es fehlt mir zurzeit wirklich an innerer Führung. Ich lasse meine staatsbürgerliche Pflicht zur Zuversicht schleifen, ebenso wie die zur guten Lebensführung nötige Selbstdisziplin.
Das gilt übrigens für die ganze Familie. Der Mann: wehleidig, der Sohn: renitent, die Tochter: regelmäßig zu spät in der Schule. Eine von der Leyen’sche Stubendurchsuchung würde auch in den Räumen der restlichen Mitbewohner Unschönes zutage fördern: Klandestine Süßigkeitenbunker im Stockbett, Schundliteratur im Tornister und ganz bestimmt auch Schmutz und Schund auf allerlei Festplatten. Zumindest aber können wir für uns guten Gewissens beanspruchen, was der Maler Martin Kippenberger 1984 in weiser Voraussicht des Bundeswehrskandals um Franco A. und seine Nazikumpels in den schönen Bildtitel fasste: „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“.
Aber zurück zu Macron. Ich bin mit meinen winterausläuferdepressionsgesättigten Baiser-Bruch-Fantasien doch ziemlich allein. Sonst scheinen alle ziemlich beflügelt vom Wahlsieg des französischen Europafans: Martin Schulz (der jetzt endlich ohne den blöden Zug-Namenszusatz auskommen darf) fordert jetzt ganz ungeniert einen gemeinsamen Haushalt der EU-Länder, samt großem Investitionsprogramm. Schulden machen für Europa! Noch hat Schulz nicht einmal „Eurobonds“ gesagt, zumindest nicht laut, da ist der Rest der GroKo, allen voran „Wir geben nix“-Schäuble, schon auf dem Baum.
Endlich geht jetzt mal der Wahlkampf los, so richtig mit widerstreitenden Konzepten, statt dieser ewigen fieseligen Länderfarbenspiele à la „Will-Kraft jetzt mit der Linken oder nein, jetzt doch nicht“ und Jamaika hinten und Ampel vorne. Der Bleideckel der letzten Jahre scheint gelupft, der Streit ums Ganze ist eröffnet: Jetzt, wo die Steuern sprudeln, mit auf 732 Milliarden Euro geschätzten zusätzlichen Steuereinnahmen allein für dieses Jahr. Soll man da investieren und Teile der Agenda 2010 rückgängig machen (Schulz) oder lieber Steuern für die Mittelschicht senken (FDP, Teile der Union)? Oder aber einfach auf dem Staatssäckel hocken bleiben (Schäuble)?
Der neue Schwung scheint auch längst vergessene Akteure wiederzubeleben: Ausgerechnet Peter Hartz, Experte für gute Lebensführung, kann es nicht lassen und wirft – als Privatmann und im Namen seiner Stiftung „Saarländer helfen Saarländern“ – neue Schlagworte in die Arena, die irgendwie nach 2003 klingen: Da sollen sich „Minipreneure“ selbst zum Joberfolg verhelfen, sollen Exarbeitslose als „A-Trainer“ andere für den Markt ertüchtigen. Und dann sollen auch noch „Europatriates“ gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa angehen.
Frisch gebackene Macrons von heute mit dem Hartzer Käse von vorgestern füllen – das sollte man lieber bleiben lassen. Schmeckt nur nach Reformdepression und mageren Zeiten. Vor allem wenn draußen die Sonne scheint und alles nach Aufbruch und Gerechtigkeit drängt. Ich werde jetzt die Joggingschuhe entstauben und am Wochenende vielleicht doch ein paar Macarons backen. Besonders die grünen werden ja gerne mal unterschätzt.
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