der rote faden : Nein, ein Wunder von Würselen gibt es in Österreich nicht
durch die woche mit
Saskia Hödl
Es führen nicht alle Wege nach Rom. Zumindest nicht in der Politik und ganz sicher nicht in der Sozialdemokratie. Während hier Martin Schulz wie der Heiland persönlich aus Brüssel hinabstieg, um die Bundeskanzlerin in Umfragen an die Wand zu sympathisieren, sieht es um den Jubel für die Sozialdemokratie in Österreich eher mau aus.
Schulz hat verstanden, was die Leute wollen. Sie haben gesagt: „Kümmert euch um uns“, und Martin Schulz hat sich zu Anne Will gesetzt und gesagt: „Ich kümmere mich um euch.“ Onkel Schulz hat den vermeintlich sozialdemokratischen Wähler auf den Schoß genommen, ihm ein wenig den Rücken getätschelt, zustimmend gebrummt und von seinem eigenen Aufstieg erzählt. Und zack – 50 Prozent in den Umfragen, ohne tatsächlich etwas getan zu haben. Nein, das ist nicht das Wunder von Würselen – das ist Taktik, Eloquenz, man mag es auch Berechenbarkeit nennen, aber er gibt vielen Leuten, was sie wollen: Sozialdemokratie.
Nun ist Österreich eigentlich gar nicht im Wahlkampf, irgendwie aber permanent doch, und die österreichische Sozialdemokratie befindet sich in einer ähnlich verzwickten Lage. Sie hat an Profil verloren, sie schwimmt dahin wie ein Stück Treibholz und wirkt immer unglaubwürdiger, während alles rundherum nach rechts rückt.
Der österreichische Schulz hieß Kern. Er war ein Lichtblick, der nach dem überfälligen Abgang von Werner Faymann das Kanzleramt übernahm – was zu Kerns Vorteil ganz ohne die Unannehmlichkeiten geschah, die ein Wahlkampf sonst so mit sich bringt. Als jung (nur 51 Jahre alt!), dynamisch, eloquent, als echter Sozialdemokrat gilt Kern – auch weil er 2015 als Chef der österreichischen Bundesbahnen sehr sozial auf die Beförderungsnot der Flüchtlinge reagierte, sie ohne Tickets reisen und mit dem Nötigsten versorgen ließ, während er sich täglich ganz menschlich ein Bild von der Lage am Wiener Westbahnhof machte. Sein Amt trat er mit dem Versprechen einer Neugestaltung an; es sei die letzte Chance der großen Koalition, sagte er. Was für ein Typ.
Nun ja. Am Montag kam dann die Ernüchterung in Form eines 35-seitigen Arbeitsprogramms der rot-schwarzen Regierung für die Zeit bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2018. Das Papier wurde fünf Tage lang ausgehandelt. Man munkelte, es stehe ein rotes Ultimatum im Raum, entweder so, wie die SPÖ es will, oder Neuwahlen im Mai. Dabei kann es sich aber nur um ein Gerücht gehandelt haben, wenn man sich das nicht besonders sozialdemokratische Ergebnis nun mal so ansieht.
Geplant sind nämlich ein Burkaverbot im öffentlichen Raum, stärkere Videoüberwachung, elektronische Autokennzeichenerfassung, eine Verlängerung der Schubhaft auf 18 Monate, Speicherung von Telekommunikationsdaten bei einem Anfangsverdacht für 12 Monate und eine ziemlich autoritär anmutende Integrationspolitik, die mit strenger Kontrolle, Sanktionen und der Pflicht zu gemeinnütziger Tätigkeit von Asylbewerbern arbeitet. Es soll außerdem zwar eine Ökostromnovelle geben, aber gleich dazu auch eine klimaschädliche Halbierung der Flugabgabe aus wirtschaftlichen Gründen – die ÖVP lässt grüßen.
Außerdem konnte sich die ÖVP auch bei der Lockerung des Kündigungsschutzes von über 50-Jährigen durchsetzen, was im Programm hübsch als Maßnahme zur Unterstützung der Neueinstellung von Älteren verkauft wird. Einzig die Halbierung der schon vorhandenen Obergrenze für Asylbewerber auf lächerliche 17.500 pro Jahr bei 8,5 Millionen Einwohnern konnte die ÖVP nicht durchkriegen. Doch das entsprechende Kapitel des Programms, das „Migration dämpfen“ heißt, zeigt auch so eindeutig, wohin die Reise der Großen Koalition gehen soll. Das Ganze liest sich wie ein Wunschzettel des Innenministers Sobotka (ÖVP).
Die SPÖ hat mal wieder die sozialdemokratischen Themen aus den Augen verloren. Bis auf ein Beschäftigungsprogramm für ältere Langzeitarbeitslose findet sich nämlich nicht viel zu den aktuellen Problemen, die vermeintliche SPÖ-Wähler umtreiben. Kein Wort zur wachsenden Ungleichheit, zu den Reallohnverlusten und dem ewigen Sparkurs. Nein, das Programm kostet bis 2018 auch noch 4 Milliarden Euro, wovon 2,8 Milliarden aus „Einsparungen und Umschichtungen“ kommen sollen.
Es ist ein profilloser Kompromiss, der in Zeiten, in denen die FPÖ in den Umfragen vorne liegt, dem Machterhalt der beiden Parteien dienen soll. Doch dieser Weg, diese Taktik der Anbiederung ist so kurzsichtig, wie wenn man sich bei Kälte in die Hose pinkeln würde, weil es dann einen kleinen Moment lang so schön warm ist.
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