der rote faden : Hey, psst – ham Sie mal ’n Narrativ für die Linke übrig?
durch die woche mit
Robert Misik
Als rational denkende, vernunftbegabte Menschen würden wir – also Sie und ich – uns ja nie von simplen, betörenden Storys beeinflussen lassen. Denken wir jedenfalls. Das ist gewissermaßen unser Selbstbild. Man könnte auch sagen: die simple, betörende Story, die wir uns über uns selbst erzählen. Aber wir wissen auch, dass das so nicht stimmt. Nicht nur die Werbeindustrie lebt davon, sondern auch die Politik.
Die Konservativen erzählen die Geschichte von der fleißigen, sparsamen schwäbischen Hausfrau, die nicht mehr ausgibt, als sie einnimmt. Eine ökonomische und auch moralische Allegorie ist das: Diese Hausfrau ist verantwortungsbewusst, sie liegt niemandem auf der Tasche. Nie würde sie ihr Haushaltsgeld für eine Flasche Rum ausgeben und sich einen hinter die Binde kippen.
Der Rechtspopulismus ist ohnehin eine mythenbasierte Politik. Der kleine Mann gegen die korrupten Eliten. Unten gegen oben. David gegen Goliath. Auch mache Demagoginnen, die sich links tarnen, wie Sahra Wagenknecht, versuchen dieses Muster nachzuspielen mit der Story: Sie belügen euch, aber das Volk lässt sich nicht mehr belügen, und ich erzähle euch die Wahrheit. Etwa: Wenn Assad Fassbomben wirft und die Russen Bombenteppiche über Aleppo legen, dann sind trotzdem irgendwie immer die Yankees schuld.
Auch die Linken und Progressiven hatten in den vergangenen 150 Jahren solch einfache Geschichten parat: die einfachen Arbeiter, die aber die Welt erobern werden, weil sie es sind, die alle Reichtümer schaffen. Den Untersten gehört die Zukunft, die Letzten werden die Ersten sein. Aber dafür muss man hart an sich arbeiten: etwas lernen, sich bilden, sich organisieren. Sie hatten auch Heldengeschichten, von Figuren, die auch unter widrigen Bedingungen aufgestanden sind und den notwendigen Kampf gekämpft haben. Gegen den Wind, der ihnen ins Gesicht blies, und mit nichts auf ihrer Seite als der Vermutung, dass die Geschichte auf ihrer Seite sei.
Aber welchen Narrativ haben die Progressiven heute? Auf opendemocracy.net fand unlängst eine interessante Debatte zum Thema myth gap statt – salopp übersetzt die Mythenlücke, die den Progressiven zu schaffen mache. „Während unsere Instinkte dahin gehen, den Lügen und Verzerrungen mit Fakten und Daten zu begegnen, ist die wirkliche Herausforderung, die Rechten auf dem Feld der Mythenproduktion und des Storytelling zu schlagen.“ Es braucht also einen Narrativ, in den sich all die Fakten, Daten und Positionen zu Sachfragen einfügen. George Lakoff, der linke amerikanische Guru des „politischen Framing“, hat das einmal so formuliert: „Sachfragen sind zweitrangig. Sie sind nicht unbedeutend oder unwichtig, aber sie sind zweitrangig. Eine Position im Hinblick auf Sachfragen sollte immer abgeleitet werden von den Werten, und die Entscheidung, welche Sachfragen man ins Zentrum stellt, sollte diese Werte symbolisieren.“
Lakoff weiter: „Jeder liebt eine gute Story. Ein gutes Argument beinhaltet eine Geschichte – mit Helden und Schurken. Diese Geschichten helfen dabei, Werte, Grundsätze, Meinungen, Statistiken in Erzählungen zu verwandeln, die einen Beginn, eine Mitte und ein Ende haben. Die grundlegenden Rollen in diesen Narrativen sind Held, Schurke, Opfer und Helfer. Viele dieser Geschichten handeln von Selbstverteidigung, Rettung, wie man Hürden und Hindernisse überwindet oder wie man seine Potenziale realisiert (der Held hat spezielle Talente, und durch Disziplin und Glück verhilft er ihnen zum Durchbruch).
Der Autor und frühere Arbeitsminister Robert Reich nennt ‚vier essenzielle amerikanische Storys‘. Die vom ‚siegreichen Individuum‘, also vom Selfmademan. Die ‚mildtätige Gesellschaft‘, erzählt, dass wir alle zusammengehören in einer Community. Eine eher negative Story ist die vom ‚Mob, der schon am Eingangstor rüttelt‘, also von Bedrohung. Zuletzt die Geschichte von der ‚Fäulnis an der Spitze‘, also den Eliten, die ihre Macht gebrauchen und das Gemeinwesen ausplündern.“
Alex Evans meint auf opendemocracy.net, progressive Storys müssten Bilder evozieren von einem „größeren Wir“, also von einer Gemeinschaft, die zusammen etwas weiterbringt, und von einem „längeren Jetzt“, also einer besseren Zukunft. Und von einem „besseren Leben“. Diese Geschichten müssten Komplexität so reduzieren, dass sie gewissermaßen ein Leitfaden „durch die enormen psychologischen Herausforderungen turbulenter und unsicherer Zeiten“ wären.
Übrigens: Bertolt Brecht wurde einmal gefragt, welches Buch für ihn das prägendste war. Seine Antwort ist legendär: „Sie werden lachen, die Bibel.“
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