der rote faden : Sozialdemokratisches „hygge“ gegen den Post-Trump-Blues
durch die woche mit
Nina Apin
In der Woche nach dem Trump-Schock war die ohnehin schlechte Berliner Luft gesättigt mit Depression. Die Nachbarin von oben schlurfte mit gesenktem Kopf durchs Treppenhaus und nuschelte fassungslos: „Jetzt ist Leonard Cohen auch noch tot!“. Schlimmer linker Weltschmerz, diagnostizierte eine andere Nachbarin, die aber selbst nicht froher aussah.
Auch in der Redaktion: Schmerz und Verzweiflung. Merkel als letzte Retterin der freien Welt, Petry und Hofer grinsend in Erwartung baldiger Siege – hatte man sich dafür jahrelang die Finger wund geschrieben? Wird Nationalismus, befördert von BauchwählerInnen, jetzt wirklich das Politikmodell der Zukunft?
Bange Fragen, überall. Was soll nun werden? Was wird Trump anrichten, in seinem Land und auf dem Planeten? Kann so was auch hier passieren? Leben wir nach dem 9. November noch in derselben Welt wie vorher?
Dieselbe Welt teilen wir offensichtlich schon länger nicht mehr, wenn es stimmt, dass Algorithmen den US-Wahlkampf entscheidend gesteuert haben: Jedem Lager seine (gesponserte) Filterblase, seine sich immer weiter selbst bestätigende Weltanschauung. Wozu sich mit Argumenten des politischen Gegners rumärgern, wenn es im eigenen Lager doch so schön kuschelig ist? Dass post-truth, zu Deutsch „postfaktisch“, jetzt vom Oxford Dictionary zum Wort des Jahres gekürt wurde, scheint da nur folgerichtig. Fakten spielen keine Rolle mehr, jetzt regieren die Gefühle, wie man an den konkurrierenden Wörtern des Jahres sehen kann: „Coulrophobia“, die Angst vor Clowns, stand auch auf der Liste, ebenso wie hygge, das dänische Wort für Gemütlichkeit.
Gefühle, Stimmungen, Emotionen. Kein Wunder, dass der zutiefst ungefühlige Begriff alt-right, der die ultrareaktionäre Ideologenbewegung aus dem Trump-Umfeld bezeichnet, keine Chance hatte. Obwohl Ideologien im Allgemeinen stabiler sind als Gefühle, die ja ständig wechseln können.
BürgerInnen mit volatilem Gefühlshaushalt sind ein Albtraum nicht nur für Meinungsforscher und BerufspolitikerInnen, sondern auch für Journalisten. Aber aus jeder Emotion kann bald wieder ein gegenteiliges Gefühl erwachsen. Wer heute besorgt ist, kann morgen schon wieder gleichgültig sein – aber kann man das wollen? Dass die, die nicht einverstanden sind, sich wieder zurückverkrümeln in die politische Apathie? Wenn es um Repräsentanz geht, müsste man dann nicht allein aus demokratietheoretischen Erwägungen heraus froh sein, dass sich auch das Antidemokratische, das Rassistische, das Frauenfeindliche offen zeigt, damit man wenigstens weiß, mit wem man es zu tun hat?
Das sehen diejenigen ganz anders, die das Erstarken von Rassismus direkt betrifft. Auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung am Mittwoch, in der es um – was sonst? – Stimmungen in der Politik ging, berichtete die Filmemacherin Mo Asumang, sie erlebe in Deutschland derzeit wieder Szenen wie in ihrer Kindheit: dass man ihr, der Dunkelhäutigen, in Läden durch feindselige Blicke zu verstehen gebe: „Wir wollen dich hier nicht haben – und wir sind viele“.
Ist es die von unverantwortlichen Populisten gegen Minderheiten gerichtete „Gegenrede gegen Globalisierung“, die sich in solchen Begegnungen zeigt, wie Thomas Meyer, Herausgeber der Frankfurter Hefte meinte? Bricht sich hier die Frustration des kleinen Mannes Bahn, dem sein Königreich weggenommen wurde, weil er so lange mit Verhaltenssanktionen belegt wurde (weder seine Frau noch seine Kinder darf er noch schlagen), wie die Soziologin Beate Küpper formulierte? Oder sind doch „die Medien“ schuld, wie der Künstler Klaus Staeck erstaunlich undifferenziert postulierte – weil sie kein Bewusstsein mehr hätten für die Verletzbarkeit der Demokratie? „Wieso“, fragte Staeck in die Runde, „muss ich eigentlich wissen, was Björn Höcke sagt?“
Großer Applaus unter den weitenteils ergrauten rund 200 ZuschauerInnen im Saal. Die Welt wäre eine bessere, ist man in der Berliner Auferstehungskirche sicher, wenn es weniger Reiz-Reaktions-Journalismus gäbe, sondern …
Ja was? Einen ganz neuen Post-truth-Journalismus, der ermutigende Botschaften der Vielfalt in die Filterblasen der Frustrierten hineinbläst? Nicht bei der SPD. Dort herrscht offenbar immer noch sozialdemokratisches hygge.Oder, um es mit Kurt Becks Worten zu sagen: „Wohnungsbau und Umverteilung“.
Aber das wird wohl nicht reichen, damit Mo Asumang wieder in Frieden einkaufen kann und meine Nachbarin aus ihrer Depression findet.
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