der rote faden : Es fehlt eine linke Integrationsfigur, die Arbeiter nicht verachtet
durch die woche mit
Robert Misik
Jetzt kommen wieder ein paar linke Bescheidwisser daher und erklären uns, dass Hillary Clinton so furchtbar sei, dass es doch keinen relevanten Unterschied zwischen ihrer und Donald Trumps Furchtbarkeit gebe. Mag die kleine Differenz im Extremfall ein paar Hunderttausend Leben kosten. Wenn’s blöd läuft, wird diese Argumentation noch so gut verfangen wie im Jahr 2000, als man in diesem Milieu für Ralph Nader stimmte, was ja bekanntlich Al Gore die Präsidentschaft kostete und George W. Bush ins Weiße Haus hievte.
Was aber natürlich nicht heißt, dass Hillary Clinton nicht in mehrerlei Hinsicht eine grottenschlechte Kandidatin ist. Sie repräsentiert das liberale Establishment. Und auch wenn man nicht so tun soll, als hätte die frühere Außenministerin überhaupt keine Stärken, fällt es schwer, an ihr etwas zu finden, wofür man sich begeistern kann, im Unterschied etwa zu Barack Obama vor acht und vier Jahren. Man kann beinahe sagen: In Clinton vs. Trump verdichten sich die Dilemmata der heutigen Progressiven, der Linken, der Mitte-links-Parteien – wie immer man das nennen mag.
Gerade lesen ja alle ganz gefesselt „Rückkehr nach Reims“ von Didier Eribon. Darin schreibt er über die kulturell abgehängte Arbeiterklasse, die jetzt – Eribon ist Franzose – den Front National wählt. Die einheimischen Unterprivilegierten haben das Gefühl, niemand vertrete sie, weil sie unter die Räder von Globalisierung und Modernisierung kommen. Aber diese Entfremdung ist auch eine kulturelle Entfremdung. Die Leute sind wütend, weil sie spüren, dass man sie nicht ernst nimmt, dass sie Leute von gestern, dass sie Unsichtbare sind.
Ihre früheren Vertretungen sind Mittelschichtsparteien geworden, weit weg von den Arbeitermilieus. Ja, noch schlimmer: Die heutigen Linken, von innerstädtisch-sozialdemokratisch bis akademisch-linksradikal, begegnen den Arbeitern und ihrer Welt, den Unterprivilegierten und ihrer Welt mit Verachtung.
Eribons Buch handelt aber nur über kurze Strecken von dieser politischen Entfremdung im engen Sinne, es ist ein autobiografisches Buch, in dem er die große Geschichte anhand seiner eigenen kleinen Geschichte erzählt. Wie er, der ehemalige Arbeitersohn, seine Welt hinter sich gelassen hat, wie er begonnen hat, sich für sie zu schämen, wie er mit dieser rauen, teilweise auch dummen, xenophoben, homophoben Welt nichts mehr zu tun haben wollte. Kurzum, er erzählt entlang der Geschichte seines Klassenverrats. Zurück bleibt die Arbeiterklasse – und wählt „in einer Art politischer Notwehr“ (Eribon) Rechtspopulisten – von FPÖ bis Front National, von AfD bis Donald Trump.
Man kann also sagen, Hillary Clinton verkörpert diese Verwandlung der Progressiven zur Mittelschichts- und Establishmentkultur, während der weiße, zornige Trump-Wähler die Notwehr der Arbeiterklasse darstellt. Wenn man dieses Problem einmal erkennt, hat man es noch lange nicht gelöst. Denn wie verbindet man heute die innerstädtischen progressiven, internationalistisch gesinnten Milieus mit den proletarischen Kleinstadt- und Vorortmilieus, die sich nicht riechen können? Jedenfalls ist Clinton dafür nicht die optimale Besetzung.
Im Sommer habe ich mich durch die ziegeldicke, neu erschienene Bobby-Kennedy-Biografie von Larry Tye gelesen: „The Making of a Liberal Icon“. Was für ein Buch, was für eine Figur! Robert F. Kennedy, der Bruder des Präsidenten John F. Kennedy, der in den fünfziger Jahren noch für den rechten Scharfmacher Joseph McCarthy arbeitete, später dann als „Bad Bobby“ für John F. Kennedy ruchlos die Drecksarbeit erledigte, verwandelte sich innerhalb von vier Jahren zur bis heute wohl unübertroffenen Idealfigur eines modernen linken Politikers: zum „Good Bobby“. Er begeisterte, hielt Reden gegen Armut und Ausgrenzung, wurde Senator, stellte sich ganz buchstäblich auf die Seite der kleinen Leute, war cool und damit zugleich auch die inspirierende Figur für die Gegenkulturbewegung der sechziger Jahre.
Eine Art politischer James Dean, von den amerikanischen Schwarzen genauso angesehen wie von der weißen Arbeiterklasse, schmiedete er eine Koalition gegen das alte demokratische Parteiestablishment, eine Allianz für das Neue. Seine Partei wäre Schutzmacht der kleinen Leute und Kraft der Modernisierung zugleich gewesen, 1968 hätte er Präsident werden können. Nur wenige Wochen nach Martin Luther King und nach einer Reihe von Siegen bei den Primaries wurde Kennedy erschossen.
Präsident wurde damals dann übrigens Richard Nixon.
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