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der rote faden Im digitalen Dschungel-Reich der Reichsten und Reichweitesten

durch die woche mit

Meike Laaff

Ich sehe wenig, was Facebook ändern könnte am eigenen Einfluss“, sagte der ehemalige Facebook-Produktmanager Antonio García Martínez diese Woche im Zeit-Online-Interview. Gut, man könne Nutzern bevorzugt Nachrichten von ihren am wenigsten geliebten Freunden anzeigen – aber davon würden sich die Nutzer ja auch manipuliert fühlen …

Wachstum

Ein interessantes Gespräch, denn es zeigt mal wieder, dass die Internetkonzerne, die immer stärker Leben und Gesellschaft organisieren und formen, so schnell gewachsen sind, dass sie ungefähr so souverän sind wie picklige Teenager, die durch puren Zufall an Schaltstellen der Macht gelangt sind.

Airbnb. Uber. Facebook. Allesamt Firmen, die fast täglich unter Beweis stellen, dass man in der Welt, die sie sich vorstellen, nicht zu Hause sein möchte. Und die trotzdem wachsen und wachsen. Fast immer größenwahnsinnig. Grausam. Von erschreckender Ignoranz.

Von Letzterer gab Facebook in den vergangenen Tagen eine neue Kostprobe: Die norwegische Zeitung Aftenposten skandalisierte, dass Facebook einen Post der Zeitung gelöscht hatte. Grund dafür war das Foto eines nackten Mädchens, das darin enthalten war. Eines vietnamesischen Mädchens, das mit anderen Kindern weinend über eine Straße flieht, Soldaten im Rücken.

Löschfreude

Sie kennen dieses Bild wahrscheinlich. Es ist ein preisgekröntes Dokument für den Horror des Vietnamkriegs, die Napalm-Angriffe der USA. Davon weiß man bei Facebook offenbar nichts. Kind, nackt? Das verstößt gegen die Community-Standards – zack, gelöscht.

Geschäftsführerin Sandberg kann jetzt noch so lange versuchen, das Problem mit Krisen-PR-Gesäusel weichzuquatschen: Es ist dringend notwendig, sich diesen Fall gut zu merken. Weil Facebook längst nicht mehr nur als Postbote für Informationen und Journalismus fungiert, sondern als mächtiger Herausgeber. Dem die Durchsetzung seines Hausrechts auf seiner Plattform näher ist als eine journalistische Auseinandersetzung. Der sich bekanntermaßen liberal zeigt, wenn Hass und Gewalt auf seiner Plattform stehen – und blitzschnell löschfreudig, wenn es um nackte Haut geht.

Neu ist das nicht. Wird aber einfach hingenommen. Von Lesern und Zuschauern, die es Face­book erlauben, eine immer größere Rolle dabei zu spielen, welche Nachrichten sie sehen und lesen. Und von Medienhäusern, die im Dienst größerer Reichweite und schnellerer Auslieferungen immer stärker auf Facebook als Verbreiter ihrer Nachrichten setzen.

Dominanz

Wobei mit der ungebremsten Dominanz, mit der Facebook Medienhäusern die Regeln vorschreibt, bald Schluss sein wird – zumindest, wenn man im Kopf von Günther Oettinger wohnt. Der EU-Digitalkommissar will jetzt Robin-Hood-mäßig durchgreifen: den fetten Nachrichtenaggregatoren nehmen und den armen Verlagen geben. Dafür belebt er einen netzpolitischen Zombie wieder: das Leistungsschutzrecht für Verlage. Eine Idee, die noch nirgends funktioniert hat: In Deutschland wurde es auf Druck des Springer-Konzerns hin eingeführt, aber niemand traute sich dann, seine Inhalte nicht gratis zu verlinken. In Spanien killte ein ähnliches Gesetz Google News. Was sollte nach diesen durchschlagenden Erfolgen schon dagegen sprechen, das Ganze jetzt auch auf EU-Ebene durchzudrücken?

Falls jemand die vergangenen 17 Folgen Leistungsschutzrecht übersprungen hat, keine Sorge: Nix verpasst. Antworten etwa darauf, wann ein Textschnipsel schützenswert ist und wer genau zahlen muss, sind noch immer ungeklärt. Klar ist nur: Verlage sollen 20 Jahre lang Geld einfordern dürfen. Eine sportliche Zeitspanne im Nachrichtengeschäft.

Robin Hood

Klar: Regulierung im Digitalen ist knifflig. Schafft man es nicht, international agierende Internetriesen rechtlich zu fassen zu kriegen, verfestigt sich ein unregulierter Raubtierkapitalismus voller kleiner Plattform-Imperien, gegen die sich Nutzer kaum noch wehren können. Ein selbst erschaffener digitaler Dschungel, in dem das Recht der Reichsten und Reichweitesten herrscht.

Andererseits aber hampelt die EU derzeit auf mehreren Bühnen vor, wie schwer es ist, daran etwas zu ändern: vom verunglückten Leistungsschutzrecht bis hin zu zähen Kartellverfahren gegen Google. Glücklich, wer Gerät und konkretes Datenschutzmissverhalten anprangern kann – wie die NRW-Kontrollbehörden, die gegen den Dash-Button zum Nachbestellen von Produkten bei Amazon klagen.

Oder wie die Frau in den USA, die sich juristisch dagegen wehrt, dass ihr Sexspielzeug Nutzerinformationen an den Hersteller zurückspielt. Nur zu Forschungszwecken natürlich.

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