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Archiv-Artikel

der rechte rand Kriegsverbrechers Lebensabend

Wegschauen geht nicht: 25 Prozent mehr Neonazis haben die Verfassungsschützer im vergangenen Jahr gezählt. Für die taz nord beobachtet Andreas Speit den rechten Rand. Kontinuierlich.

Keine Anklage von den Anklägern. Seit drei Jahren gelingt der deutschen Justiz nicht, den früheren Angehörigen der 16. Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“ Mordabsichten bei einem Massaker 1944 in Italien nachzuweisen. „Die Ermittlungen laufen noch“, vertröstet die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Stuttgart der taz. Mittlerweile räumt der ermittelnde Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler ein: „Ich kann weder sagen wann, noch ob es zu einer Anklage kommt.“

Die 15 Beschuldigten, von denen einige unbehelligt im norddeutschen Raum leben, dürfte das freuen. Beruhigen könnte sie auch, dass der Rechtsanwältin Gabriele Heinecke bislang die Einsicht in die Ermittlungsakten verwehrt bleibt. Am 22. Juni hatte das Militärtribunal La Spezia zehn der SS-Offiziere wie den Hamburger Gerhard Sommer wegen der Ermordung von 560 alten Männern, Frauen und Kindern in Sant’Anna zu lebenslanger Haft verurteilt. Kurz danach wurde Heinecke vom Verein der Opfer von Sant’Anna als Rechtsbeistand beauftragt. Wegen der verweigerten Akteneinsicht hat die Hamburger Anwältin nun der Stuttgarter Staatsanwaltschaft eine Erzwingung der Akteneinsicht zukommen lassen. Schon durch die zögerlichen Ermittlungen, sagt Heinecke, hätten ihre Mandanten „das Gefühl, dass die Staatsanwaltschaft die Rolle der Verteidigung der Beschuldigten übernimmt“. „Die Akteneinsicht“, rechtfertigt die Sprecherin der Anklagebehörde die Weigerung, „könnte die Ermittlungen gefährden.“ Wie, bleibt allerdings ungeklärt. Stattdessen erläutert sie, dass auch ehemalige SS-Mitglieder unter rechtsstaatlichem Schutz stehen. Außerdem müssten, anders als vor dem Militärgericht, vor dem Strafgericht den einzelnen Beschuldigten Taten und Mordmerkmale wie „niedere Beweggründe“ nachgewiesen werden.

Mit der Entscheidung im Fall Siegfried Engel hätte der Bundesgerichtshof (BGH) die Arbeit zusätzlich erschwert, betont sie. Im Sommer 2002 war der ehemalige SS-Obersturmbannführer vom Hamburger Landgericht wegen Mordes an 59 Partisanen zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Der BGH kassierte das Urteil gegen den SS-Chef von Genua – weil es die Mordmerkmale nur ungenügend berücksichtigt habe. Wegen Engels hohen Alters erfolgte keine Wiederaufnahme. Auf der Terrasse an seiner Villa erklärte der 96-jährige Engel, indes erneut, „nicht schuldig“ zu sein. Nur die Fragen mussten wegen seiner Schwerhörigkeit etwas lauter gestellt werden. „Ach was wissen sie schon“, meinte der rüstige Rentner zu einer französischen Fernsehkollegin, die ihn mit der taz besuchte. Auch Sommer betont ein „absolut reines Gewissen“ zu haben. In der noblen Seniorenwohnanlage halten einige Damen den verurteilten Kriegsverbrecher für „sehr zuvorkommend“. „Hören sie doch mit den alten Geschichten auf“, meint eine. „Das ist doch alles 60 Jahre her.“

Alleine Werner B. aus Reinbek fühlt sich schuldig. Erst am Telefon erfuhr der damalige Unteroffizier, dass er in Italien verurteilt wurde. Schriftlich hatte er allerdings ausgesagt. „Es war schlimm“, berichtet er. Mit seiner Einheit stellte er die Nachhut nahe dem kleinen toskanischen Dorf. „Ein Melder, ein junger Soldat berichtete, was oben im Dorf geschah.“ Auch am Abend des 12. August 1944 redeten die Soldaten über den ‚Vorfall‘. Manche waren erschüttert, sagt er beim Telefonat und betont: „Mord an Kindern, das darf nicht verjähren.“

Hinweis: Andreas Speit arbeitet als freier Journalist und Autor über die rechte Szene Norddeutschlands.