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Archiv-Artikel

der mann & seine rute 600 Jahre Kinderschreck

Von BES

Knecht Ruprecht ist im Schwinden begriffen. Bedauern kommt da nicht auf. Schließlich weiß man, woher er stammt: Der bad cop des Nikolaus-Gespanns wurde konzipiert von spätmittelalterlichen Terrorpädagogen. Verbreitung gefunden hat der Begleiter des vor 1.655 Jahren gestorbenen Heiligen durch Flugblätter des 16. Jahrhunderts. Damals hieß er noch nicht Ruprecht, und auch die anständige Existenz als Knecht hat er sich erst später zugelegt. Vor 600 Jahren nannte man ihn nur nach dem, was er tat: Den Kinderfresser. Oder Kinderficker.

Daran, dass der Kinderficker deutlich seltener als einst in die Spielzimmer vorgelassen wird, wäre im Grunde nichts auszusetzen. Nur leider: So einfach liegen die Dinge nicht. Und daran ist das 19. Jahrhundert schuld – und in vorderster Front ein Husumer Dichter. Während andernorts Romanciers „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ erdachten und zartfühlende Poeten seufzten, dass zwei Seelen, ach, in ihrer Brust hausen würden, verschmolz Theodor Storm Sankt Nikolaus und den Mordsbuben zu ein und derselben Person. Storm kennen wir als den Erzähler einer durchtechnologisierten Welt, in der alte Dämonen zwar als Aberglaube belächelt und verdrängt werden – ohne jedoch ihre Wirkung verloren zu haben. „Knecht Ruprecht“, heißt sein meistrezitiertes Poem, in dem Säcklein und Rute hübsch beieinander hängen. Dass diese die Kinder „auf den Teil, den rechten“, trifft, empört niemanden, wird sogar von ganz oben abgesegnet: Das „Christkindlein“ spricht: „So ist es recht.“ Und schickt das entstandene Zwitterwesen mit Gottes Segen auf seine weitere Laufbahn: Schon zeitgenössische Illustrationen zeigen es als einen korpulenten Herrn mit weißem Bart, rotem Rock, das Gertenbündel immer griffbereit. Heute nennt man es Weihnachtsmann.

Es gibt gute Gründe, dem Weihnachtsmann zu misstrauen. Und anders als in Norddeutschland hat man die Tarnung in einigen Kantonen der Schweiz durchschaut. Und sich zum Handeln entschlossen. So auch in Zürich: Dort ist es Weihnachtsmännern seit 2005 untersagt, Kinder auf den Schoß zu nehmen. Vorbildlich. BES