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Archiv-Artikel

der legendäre currywurstabend von JOACHIM SCHULZ

Der legendäre Currywurstabend war das Herz und die Seele der ebenso legendären Goetheplatz-WG. Drei Jahre lang hauste ich mit Freddie und Mick in einer etwas verlotterten Altbauwohnung, und so, wie es sich für eine legendäre WG gehört, füllten wir unsere Tage mit Monopolymarathons, jäh vom Zaun gebrochenen Dartturnieren oder, wenn uns denn gar nichts anderes mehr einfiel, rauschenden Partys ohne Anlass.

Wie sich freilich zeigen sollte, wäre das alles ohne den rituellen Currywurstabend nicht möglich gewesen. Zum ersten Currywurstabend kam es bereits am Tag nach unserem Einzug in das Goetheplatzdomizil. In einer Nebenstraße hatten wir den „Blitz-Imbiss“ entdeckt – eine Grillbude, die offenkundig anlässlich der Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler letztmals renoviert worden war. Die Wände glänzten speckig, die Gardinen in den Fenstern sahen aus wie Frittierölfilter, doch ein Schild, das in der Tür hing und die handgeschriebene Aufschrift „Hier essen Sie gut!“ trug, zog uns mit unwiderstehlicher Kraft in den Laden hinein. „Na, Jungs, was darf’s denn sein?“, sagte Frau Kopperkamp, die Imbisswirtin, und als wir nicht gleich antworteten, sagte ein ebenso dicker wie hünenhafter Kerl am Tresen, der, wie wir später erfuhren, immer dort saß, Kümmerling trank und Huckel-Heiner hieß:

„Ich finde, die sehen nach ‚Curry komplett‘ aus.“ – „Genau“, sagte Frau Kopperkamp, verfügte sich an die Friteuse und brachte uns kurz darauf dreimal Currywurst mit Pommes und Weißkrautsalat – ein Essen, das nach Kindheit schmeckte, nach Ausflug in die große Stadt mit Zoobesuch und einer Zukunft als Wildhüter in der Serengeti.

Fortan fanden wir uns jeden Freitag zu „Curry komplett“ im Blitz-Imbiss ein. Wir schlugen Essenseinladungen von den betörendsten Kommilitoninnen aus, starteten Wochenendtrips nie vor Samstagfrüh, und einmal ging Mick sogar mit uns in den Kopperkamp’schen Grill, obwohl er wegen eines vereiterten Weisheitszahns überhaupt nicht kauen konnte, ohne lauthals zu jammern und zu wehklagen. Als wir aber an einem Freitag im Februar 1989 zum Essen gehen wollten, war die Bude verschwunden.

Wo sie in der Woche zuvor noch gestanden hatte, befanden sich jetzt ein Bauzaun und eine Grube, die auch Huckel-Heiner fassungslos betrachtete. „Nicht mal mir hat sie vorher etwas verraten“, murmelte er und goss sich einen Kümmerling in den Schlund, „aber angeblich hat sie das Grundstück für viel Geld an einen Spekulanten verkauft und ist auf Nimmerwiedersehen nach Teneriffa abgezischt.“

Das war das Ende. Ein paar Wochen versuchten wir unser Glück noch in anderen Imbissstuben, probierten gar, das Gericht mit Backofenpommes und Weißkrautsalat aus dem Kühlregal selber herzustellen – doch der Geschmack von „Curry komplett“ blieb unerreicht. Wir kriegten uns beim Monopoly in die Haare, brachen Dartturniere ab, weil wir uns gegenseitig mit den Pfeilen bedrohten.

Und so kam es, dass wir alle noch im Frühling unsere Siebensachen zusammenpackten und uns in der Stadt verstreuten – eine leere Altbauwohnung zurücklassend, die einmal der prachtvolle Sitz einer legendären WG gewesen war.