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Archiv-Artikel

der homosexuelle mann … von ELMAR KRAUSHAAR

… gerät wieder ins Visier. Die HIV-Infektionen sind in Deutschland deutlich angestiegen, besonders unter den Schwulen. Die Medien sind alarmiert, Erklärungen werden aus dem Hut gezaubert: „Hauptgrund ist Leichtsinn“ schreibt die Berliner Zeitung, „Die neue Sorglosigkeit“ vermeldet das TV-Magazin „Kontraste“, vom „süßen Nichtwissen“ redet die SZ. Die Aufklärung erreiche nicht mehr die jungen Leute, die Profi-Ficker seien von Safer Sex auf Barebacking umgestiegen, die besseren Medikamente trübten den Blick auf die tödliche Gefahr.

Kurzatmige Analysen allesamt, denn die beschriebene Situation erleben wir nicht zum ersten Mal: Ansteigende Zahlen kehren immer wieder, ebenso wie schlecht informierte Jugendliche, und Barebacking ist nicht erst der Trend seit dem vergangenen Sommer. Neu aber sind diesmal die gezogenen Konsequenzen – mit Blick auf jene Schwulen, die meinen, der Steuerzahler werde ihre HIV-Behandlung schon zahlen: „Diese Haltung lässt sich nicht mehr finanzieren“, droht „Kontraste“, „Homosexualität ist gesellschaftliche Normalität“, postuliert die Berliner Zeitung: „Es sollte auch normal sein, über entsprechende Verantwortung zu reden.“ Und die taz fantasiert schon mal vor, wie die Politik auf die mutmaßlich neue Situation reagieren könnte: „Möglich, dass man, bei Nachweis des Besuchs von riskanten Orten, auf die Bezahlung der Medikamente verzichten möchte.“ Selbst schuld, heißt das, und: Wenn ihr schon länger leben wollt, ihr Unbelehrbaren, dann aber bitte nicht auf unsere Kosten! Als Anfang der 1980er-Jahre das Ausmaß der Aids-Katastrophe sichtbar wurde, träumte hierzulande mancher konservativer Politiker davon, die so genannten Risikogruppen wegzuschließen. In Schweden wurden in den 1990er-Jahren HIV-Infizierte, die bei unsafem Sex erwischt wurden, per Gerichtsbeschluss in der „Gelben Villa“ am Stadtrand von Stockholm interniert, und in Kuba ging es ohne Umschweife ab ins Lager. „Es sieht so aus, als wäre wieder einmal ein Tabubruch fällig.“ Steht in der Berliner Zeitung am Ende der Betrachtung der neuen Zahlen. Was will uns die Autorin damit sagen?

Die „gesellschaftliche Normalität der Homosexualität“, von der so gerne geredet wird in diesen modernen Zeiten, ist nur ein Fake. Niemand hat sich ernsthaft die neuen Freunde angeschaut, die da vom anderen Ufer in die gesellschaftliche Mitte geholt wurden. Dass sie jetzt zum Standesamt streben und zum Reihenhaus mit Van, reichte aus als Entree in die schöne, liberale Welt. Aber in solchen Momenten wie jetzt, wenn plötzlich das Sexuelle aufblitzt unter der bürgerlichen Fassade, ändert sich auf der Stelle der Ton. Da will keiner mehr hinschauen und Anteil nehmen, da wird nur noch nach schnellen Konsequenzen verlangt.

Zu Aids gehört die Sexualität und nicht nur die dekorativen roten Schleifen und die Benefiz-Galas mit Charity-Ladys und einer Tombola. Die bedrohliche Situation, die jetzt wieder eingetreten ist, verlangt mehr als nur die flotten Drohungen und knappen Antworten. Soll sich tatsächlich etwas ändern, gründlich und auf lange Frist, so braucht es ein deutliches Mehr an Aufmerksamkeit für die Opfer und die potenziellen Opfer.