der charlottenburger : Manfred Krauß: „Für mich ist das hier ein Dorf“
Manfred Krauß ist Landschaftsplaner und aktiv im Bündnis gegen den Havelausbau: „Charlottenburg ist für mich ein Zuhause, oder besser die fünf Straßen im Umkreis der Schlossstraße. Ich komme selbst aus einem Dorf und bin da vor mehr als 30 Jahren nach Berlin abgehauen. Nun bin ich wieder im Dorf gelandet. Offenbar habe ich das gesucht. Ich komme zwar viel rum, aber im Grunde findet in diesem Dorf auch mein Leben statt: im Büro im Hinterhaus, in der „Kastanie“ im Vorderhaus, beim Einkaufen im Kiez, hinten im Garten. Im Sommer spielt sich hier alles im Freien ab.
Unser Haus haben wir vor mehr als 20 Jahren bekommen. Wir haben uns das leere Hinterhaus angeschaut, eine richtige Ruine. Aber dann haben wir den Garten gesehen und wussten: Hier wollen wir rein. Irgendwann hat die Neue Heimat angerufen und gefragt, wo unsere Baupläne seien. Dann ging es los. Wir haben einen Verein gegründet, sind ins Selbsthilfeprogramm gekommen, haben ein Jahr lang drei Tage die Woche gebaut und am Ende noch mal drei Monate rund um die Uhr. Ich war in der Fußbodengruppe, Angela in der Fliesengruppe, andere haben sich um die Öfen gekümmert. Protokolle und Fotos haben wir noch immer, das war eine tolle Zeit. Auch wenn das Haus, rückblickend betrachtet, meine Doktorarbeit geschluckt hat.
Nach der Wende standen wir vor der Frage, ob wir unser Haus kaufen. Die WIR, die Nachfolgerin der Neuen Heimat, wollte in den Prenzlauer Berg einsteigen und musste im Westen ihre Bestände loswerden. Nur das Hinterhaus zu kaufen ging aber nicht, also mussten wir uns mit dem Vorderhaus zusammenraufen, das über die ganze Zeit regulär vermietet gewesen war. Mit der „Kastanie“, der Kneipe, waren wir uns schnell einig, aber mit den Vorderhausbewohnern, das war nicht einfach. Die wollten Fernsehen schauen, keine Plena machen.
Der Kaufpreis war aber sehr günstig. Die Neue Heimat hatte sich nie um das Haus gekümmert, aber auch nie die Miete erhöht. Die Einzigen, von denen sie etwas Geld bekommen hatten, war die „Kastanie“. Im Grunde sind wir Wendegewinner, auch wenn der Westen sich gerne als Wendeverlierer sieht. Natürlich haben wir die Wende auch gespürt, es wurde schwieriger, Aufträge zu bekommen, das Geld wurde knapper. Wendeverlierer gibt es aber nicht nur im Westen, sondern auch im Osten.
Manche haben es geschafft, die sind weggezogen, hin ins andere Charlottenburg, zum Lietzensee. Für mich war das eine andere Welt, was da auf der anderen Seite der Bismarckstraße oder des Kaiserdamms begann. Den Ku’damm habe ich immer gemieden.“ PROTOKOLL: WERA