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Archiv-Artikel

definitionsmacht Der Ruf nach den Menschenrassen

„Verschieden und doch gleich“, war der Titel des vor rund zehn Jahren erschienenen Bestsellers des italienischen Humangenetikers Luca Cavalli-Sforza. Der international renommierte Wissenschaftler war angetreten, mit den neuesten Erkenntnissen der Genomforschung dem Rassismus die wissenschaftliche Basis zu entreißen. Es gebe keine genetischen Grundlagen für die Einteilung der Menschen in unterschiedliche Rassen. Ja, wir sind verschieden, sehen unterschiedlich aus, aber tragen alle die gleichen Gene in unseren Körperzellen – zumindest fast. Denn dass die bunte Vielfalt der Menschen nicht nur auf äußere Einflüsse zurückzuführen ist, kann nicht einfach geleugnet werden. Die genetischen Unterschiede innerhalb ethnischer Bevölkerungsgruppen sind aber weitaus größer als die zwischen den Ethnien, so die zentrale Aussage von Cavalli-Sforza. Ergo: Es gibt keine Rechtfertigung für die Rasseneinteilung.

Er sagte damit sicherlich nichts Falsches. Aber schon vor zehn Jahren hätten er und die vielen Humangenetiker, die sich seiner Meinung anschlossen, erkennen können, dass sie es sein werden, die immer mehr Gene finden, deren Verteilung in den verschiedenen Ethnien sehr unterschiedlich ausfällt. Die Ethnopille BiDil wird daher auch nicht lange allein bleiben. Das Europäische Patentamt in München muss sich jetzt mit einem vergleichbaren Fall beschäftigen: Das US-Unternehmen Myriad Genetics will sein Patent auf Gentests für das Brustkrebsgen BRCA2 gern auf die Anwendung bei jüdischen Frauen europäischer oder amerikanischer Herkunft, den Ashkenazi, beschränken. Ashkenazi-Frauen mit diesem Gen haben, so die Begründung, ein besonders hohes Risiko, an Krebs zu erkranken. Und es gibt auch schon wieder Humangenetiker, die meinen, man müsse die Menschen wieder in Rassen einteilen, sonst komme man mit der auf die genetische Ausstattung beruhenden Medizin, der Pharmakogenomik, nicht weiter. Es wäre fatal, wenn wir diesen Wissenschaftlern hier die Definitionsmacht überließen.

WOLFGANG LÖHR