debatte: Der Dystopie trotzen
Erzählungen vom Untergang der Welt ziehen runter. Was hilft dagegen? Unter anderem keine Hiobsbotschaften über die sozialen Netzwerke zu verbreiten
Ohne Zweifel: Die aktuelle Weltlage ist erdrückend. In Anbetracht von Klimakatastrophen, Kriegen, Hungersnöten, Diskriminierung und Angriffen auf die Demokratie ist eine gewisse Verzweiflung nachvollziehbar. Wir rotieren in einem Zustand der Dauerüberforderung. Allen bedrohlichen Entwicklungen zum Trotz hoffnungsvoll zu bleiben, erscheint als Herkulesaufgabe. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich in den sozialen Medien zunehmend Resignation breit macht. Seit einiger Zeit sind die Timelines nicht mehr nur voller Hiobsbotschaften, sondern füllen sich stärker mit Kommentaren, deren Tenor etwa so zusammengefasst werden kann: Alles ist unausweichlich furchtbar, es wird schlimmer und schlimmer, und das ist durch nichts mehr aufzuhalten. Kurz: Der Untergang hat längst begonnen. Die Sogwirkung dieser Kommentare in den Abgrund der Verzweiflung ist mindestens so gigantisch wie die der schlechten Nachrichten, die sie veranlasst haben. Wer noch Hoffnung hat, sich an sämtliche verfügbaren Strohhalme klammert, wer Zeit, Kraft und Mut aufbringt, um an einer Verbesserung der Verhältnisse zu arbeiten, mag zunehmend den Eindruck gewinnen: Das bringt doch alles nichts, die Menschheit ist verloren. Genau da liegt das Problem: Resignation ist ansteckend. Sie breitet sich aus wie ein Virus. Vor allem wenn wir ihr allerorten ausgesetzt sind, ob wir das wollen oder nicht. Es ist nachvollziehbar, aufgeben zu wollen. Auch der Impuls, das mitzuteilen, den eigenen Frust rauszuschreien, ist naheliegend. Wo ginge das besser als in den sozialen Netzwerken? Die ihnen innewohnenden Aufmerksamkeitsökonomie belohnt frustrierte Posts: je zugespitzter, desto besser.
Amrei Bahr
ist Juniorprofessorin für Philosophie der Technik und Information an der Universität Stuttgart und Mitbegründerin der wissenschaftspolitischen Initiative #IchBinHanna.
Genau deshalb sollten wir fragen, welche Effekte es hat, der Welt ungefiltert unsere Mutlosigkeit entgegenzuschleudern. Denn die Prognose, dass alles unaufhaltsam auf eine Katastrophe zusteuere, birgt wenig Potenzial, ihr eigenes Eintreffen am Ende abzuwenden. Davon auszugehen, dass es unter Garantie schlimm komme, trägt im Gegenteil dazu bei, dass genau das immer wahrscheinlicher wird. Fatalismus wird hier rasch zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Das gilt einmal mehr, wenn sich das Resignationsvirus durch die öffentlich kundgetane Hoffnungslosigkeit wie ein Lauffeuer verbreitet. Wer glaubt, es sei nichts mehr zu retten, wird sich nicht mehr um Rettung bemühen. Je mehr Menschen resignationsbedingt ihre Anstrengungen einstellen, die Welt besser zu machen, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass der viel beschworene Untergang tatsächlich eintritt. Gegen all das gibt es ein Gegenmittel, sogar mit zwei Komponenten: strategische Zuversicht und digitale Impulskontrolle. Strategische Zuversicht rettet uns über die Phasen hinweg, in denen die echte Hoffnung auf der Strecke bleibt. Den Gedanken zuzulassen, dass es doch noch gut ausgehen könnte, kann eine Option eröffnen, es gemeinsam besser zu machen – entgegen alle Skepsis. Denn kaum jemand dürfte zum Handeln motiviert werden, wenn andere dauernd sagen: „Lass mal, das bringt doch eh nichts!“ Andere mitreißen können wir hingegen damit, uns die Vision einer besseren Welt wieder zuzutrauen und das auch offen auszusprechen. So lässt sich der Zerstörungskraft öffentlicher Resignation eine konstruktive Haltung entgegensetzen – ein Gegengewicht zum Abwärtstrend gesellschaftlicher Debatten und eine große Chance, diesen Trend endlich wieder zu drehen. Es geht hier wohlgemerkt nicht darum, Furchtbares krampfhaft in ein positives Licht zu rücken und der Zukunft fortan nur noch mit rosaroter Brille auf der Nase entgegenzusehen. Die Lage ist ernst. Das wegzuwischen ist nicht die Lösung. Zumal auch Sorglosigkeit kein Antrieb dafür ist, aktiv an der Verbesserung der Situation mitzuwirken. Ja, wir sollten auf das Schlimmste vorbereitet sein, aber in dem Sinne, dass wir wissen, was zu tun ist, um uns mit aller Kraft dagegenzustemmen. Was dabei hilft: Zusammenhalt und Solidarität, online wie offline. Es ist wertvoll, uns gegenseitig zu vergewissern, dass wir diese Welt noch nicht verloren geben. Andere an unserer Seite zu wissen, hilft gegen Vereinzelung und lähmende Ohnmachtsgefühle. Wer gemeinsam für ein Anliegen kämpft, muss sich nicht individuell exponieren, macht sich nicht als Einzelperson angreifbar. Viele Stimmen ergeben einen lauten Chor, der lässt sich sehr viel weniger überhören als die Worte, die wir als Einzelne ergreifen.
Wir sollten wir uns zukünftig besser zweimal überlegen, ob wir zur öffentlichen Resignation beitragen wollen oder uns stattdessen in Zurückhaltung üben. Wenn wir wieder einmal kurz davor sind, unseren Frust ins Internet zu schreiben, könnten wir uns vielleicht fragen, wem das eigentlich nützt. Uns selbst? Den anderen? Klar, was in den sozialen Medien passiert, entscheiden in weiten Teilen die Plattformbetreiber und deren Algorithmen. Aber: Wir Nutzer_innen haben durchaus Gestaltungsspielräume. Durch die Auswahl der Plattformen, auf denen wir unterwegs sind sowie durch unsere Nutzung. Doomscrolling, das endlose Scannen negativer Nachrichten, zieht runter. Unsere eigenen Inhalte und die, die wir verbreiten, können das befeuern – und darauf haben wir durchaus einen Einfluss. Natürlich ist strategische Zuversicht keine Garantie dafür, dass es am Ende nicht doch so schlimm kommt, wie viele befürchten. Besser werden kann es jedoch nur, wenn wir endlich damit aufhören, öffentlichkeitswirksam aufzugeben.
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