daumenkino : „Genesis“
In „Mikrokosmos“ war alles noch ganz einfach. Die Dokumentarfilmer Claude Nuridsany und Marie Pérennou hielten ihre leistungsstarken Objektive in eine handelsübliche Wiese und taten zwischen Pfütze und Grasnarbe unbekannte Welten auf. Nacktschnecken und Krabbelkäfer glotzten possierlich in die Kameras, und die beiden Regisseure montierten das Material derart geschickt, dass man versucht war, in all dem Kreuchen und Fleuchen etwas Menschliches zu erkennen.
Dieser schöne Erfolg muss sie wohl dazu angespornt haben, in ihrem neuen Film „Genesis“ mittels Tierwelt noch viel Grundsätzlicheres über die Menschheit aussagen zu wollen. Ihre Arbeitsthese lautete, dass jeder Mensch nicht nur seine individuelle Geschichte mit sich trägt, sondern auch die unendliche Geschichte der Evolution. Weil es allerdings schwierig ist, derlei komplexe Gedanken allein mit Ochsenfröschen, Vitamin C und Seepferdchen darzustellen, haben Nouridsany und Perennou ihr Werk mit einer zweiten Erzählebene gedeckelt, auf die man lieber verzichtet hätte. Während Winkerkrabben ihre virtuos gefilmten Duelle austragen, Lovebirds hübsch auf Ästen turteln und Kragenechsen durch die Kulissen flitzen, sieht man Sotigui Kouyaté als märchenonkelhaften Schamanen durch eine Filmhandlung führen, von der man ohne ihn gar nicht geahnt hätte, dass es sie überhaupt gibt.
Schlimmer noch: Kouyaté, der ansonsten vor allem aus Theaterinszenierungen von Peter Brooks bekannt ist, spielt den Schamanen so, wie Brooks ihn einen Schamanen spielen ließe. Er sitzt also im Staub vor einem riesigen Kessel, rührt darin mit der Hand herum, lässt bedeutsam Sand durch seine knochigen Finger rieseln und bläst Rauchwolken in die Luft. Mit salbungsvollen Worten versucht er, Zusammenhänge zwischen den Tieren herzustellen. „Wie fing alles an? Und wie ging es dann weiter?“, hört man ihn fragen, und weil das alles so irrsinnig dramatisch klingt, mochten die Filmemacher wohl auch nicht auf eine Begleitmusik verzichten, die sein Tun mit Pauken und Trompeten unterstützt. Dummerweise geraten die eigentlichen Stars des Films, die nach wie vor großartig fotografierten Tiere, über den mystischen Zinnober so sehr ins Abseits, dass nicht nur evolutionstheoretische Fragen offen bleiben. Sicher ist hingegen, dass Nuridsany und Pérennou sich auch mit „Genesis“ als ausgezeichnete Tierfilmer erweisen, dass sie aber als Regisseure oder Drehbuchschreiber nicht allzu viel taugen. HARALD PETERS