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Archiv-Artikel

daumenkino Die Vergessenen

Es fängt mit kleinen Dingen an. Plötzlich ist Tellys Wagen an einer anderen Stelle geparkt, und eine Kaffeetasse, die eben noch neben ihr stand, ist weg. Als die Fotos ihres vor einem Jahr tödlich verunglückten Sohnes aus den Alben verschwunden sind, gerät die Realität endgültig aus den Fugen. Ehemann Jim (Anthony Edwards) behauptet, es gab nie einen Sohn, und der Psychiater Munce (Gary Sinise) versucht Telly zu überzeugen, dass sie nach einer Fehlgeburt ein Kind in ihr Leben fantasiert hat.

Die Idee ist nicht neu: Eine Frau, der niemand glaubt, und eine Realität, die manipuliert zu sein scheint. Zunächst sieht es so aus, als könne sich daraus ein psychologisches Verwirrspiel entwickeln. Die Kamera folgt Telly (Julianne Moore), die sich verzweifelt auf die Suche nach Beweisen macht, durch die Wohnung und schafft dabei ein diffuses Gefühl der Angst. Ob echte Gefahr droht oder der Zuschauer in Tellys Paranoia gezogen wird, erscheint so rätselhaft wie die labyrinthischen Wege zwischen den Hochhausschluchten, in denen sich die Kamera zu Beginn verliert.

Doch Regisseur Joseph Ruben („Der Feind in meinem Bett“) ist nicht daran interessiert, den Zuschauer lange an der Nase herumzuführen. Die zufällige Begegnung mit Ash (Dominic West) bringt sehr schnell den Beweis für die Manipulation, und als klar ist, dass eine Verschwörung im Gang ist, sind beide bereits auf der Flucht. Spätestens hier verliert der Film jedes Geheimnis, denn statt irreführende Spuren zu legen, offenbart das Drehbuch sehr schnell, was für eine Macht hinter der Verschwörung stecken muss. Telly bekommt es jetzt mit Gegnern zu tun, die grinsen, wenn sie von Kugeln durchsiebt werden. Bedrohlich wirkt das allerdings nicht mehr, sondern hat den Trash-Appeal einer B-Movie-Parodie. Nur, dass es hier ernst gemeint ist.

Julianne Moore hat in dieser immer abstruser werdenden Geschichte keinerlei Chance, ihrer Figur eine überzeugende Präsenz zu verleihen, zu schnell muss sie sich von der liebenden Mutter zur Kämpferin verwandeln. Dafür wird sie mit einer emotionalen Wunderwaffe ausgestattet, die den Film ganz und gar unerträglich macht: Dem unsichtbaren Mutter-Kind-Faden gegenüber, so der Clou, sind selbst die kaltblütigsten Feinde machtlos. Diese süßliche Schlusspointe sorgt dann doch noch für den ersten wirklichen Grusel des Abends. CHRISTIAN BERNDT