daumenkino : „Goyas Geister“
Er läuft durch die Straßen und staunt. Wohl deshalb steht sein Mund immer leicht offen. Manchmal schüttelt er den Kopf, weil er nicht glauben kann, was um ihn herum passiert. All die unschuldigen Menschen, die in die Kerker der Kirchen geworfen werden! Anders als in Milos Formans vorherigen Porträtfilmen „The people versus Larry Flynt“ oder „Man in the Moon“ über den Playboy-Herausgeber Hugh Hefner wird der spanische Maler Francisco Goya in „Goyas Geister“ nicht zum Zeitgenossen einer Epoche. Dieser Goya, gespielt von einem stirnrunzelnden Stellan Skarsgard, wirkt wie aus der Historie gefallen. Durch die spanische Inquisition wandert er wie durch einen exotischen Zoo.
Dabei karikierte Goya mit Stichen durchaus das Gebaren von Klerus und Krone. Zu Beginn werden seine fratzenhaften Zeichnungen denn auch pflichtbewusst eingeblendet, aber die aufklärerische Geisteshaltung dahinter wird nicht weiter Thema. So wenig wie der Zwiespalt eines kritischen Künstlers, der gleichzeitig als Hofmaler eingestellt war. Gedankenverloren sehen wir ihn die spanische Königin zu Pferd malen, doch will sie sich in der gedrungenen Gestalt auf dem Gemälde nicht wiedererkennen. Es liegt in der schwammigen Natur dieses Films, dass die höfische Episode klarer in Erinnerung bleibt als die schrecklichen Folterungen, die Goyas Muse Inés (Natalie Portman) erleiden muss. Warum interessiert man sich nicht für die junge Frau, die brutal gefesselt wird, weil sie kein Schweinefleisch mag und deshalb vielleicht Jüdin ist?
Der Stoff ist hinreichend komplex, um einen Bezug zu unserer Gegenwart herzustellen, die Historie aus den Fesseln der abgeschlossenen Erzählung zu befreien. Doch zur indifferenten Haltung gesellt sich ein aufdringlicher Naturalismus, der sich letztlich nur selbst gefallen will und den Bildern jegliche Aktualität und Lebendigkeit nimmt. Man bekommt es hier mit jener Form des Kostümspektakels zu tun, die bewusst auf einer ungeschönten, realistischen Darstellung beharrt und dabei doch seltsame keimfreie Filme zum Vorschein bringt. So wirkt Javier Bardem als Pater Lorenzo in seinem klerikalen Kostüm wie ein verirrter Karnevalsscherz – seine Bütt, ein kerzenbeleuchtetes Verlies. Wenn Bardem später die Kutte ablegt, um das Kostüm der Französischen Revolution anzulegen, scheint das nur ein weiterer Vereinswechsel. ANKE LEWEKE
„Goyas Geister“, Regie: Milos Forman. Mit Natalie Portman, Stellan Skarsgard, Sp./USA/F 2006, 114 Min.