daumenkino : „Dol – Tal der Trommeln“
„Wer ist der Kerl?“ Die Männer sind nicht unfreundlich, nur misstrauisch aus Gewohnheit. „Ein Kurde aus der Türkei.“ Sofort strecken sich Azad (Nazmî Kirik) ein Dutzend Mobiltelefone entgegen, die er benutzen darf. Er will dringend seine Braut anrufen, die jenseits der türkisch-irakischen Grenze in seinem Heimatdorf zurückblieb, als er ins Exil getrieben wurde von einem sadistischen türkischen Militärkommandanten. Doch der Empfang ist schlecht. Zu viele Berge und Täler liegen zwischen Azad und seiner Geliebten. In solchen Miniaturen komprimiert Hiner Saleems „Dol“ ein Dilemma der Kurden: Wie kann man über vier Staatsgebiete verteilt unter unterschiedlichen politischen Regimen bestehen und doch seinen Zusammenhalt nicht verlieren?
Wir kriegen es buchstäblich vor Augen geführt: Der Film zeigt Kurdistan als eine von Gebirgszügen und tiefen Schluchten zerklüftete Landschaft. Hier reist man auf staubigen und engen Straßen, über Brücken, die von Soldaten kontrolliert werden oder auf Pferden. Azad durchquert dieses unwegsame Land und erfährt, dass es jenseits der Täler und Grenzen überraschende Solidarität, aber auch Unverständnis gibt. Wie an einer Schnur führt uns Saleem episodenhaft Schicksale im „Bermuda-Dreieck“ (Saleem) zwischen Türkei, Iran und Irak vor: die irakisch-kurdische Familie, die seit dem Sturz Husseins endlich in Freiheit leben kann, aber von Trauer erdrückt wird, weil die Tochter in einem Massengrab gefunden wurde. Taman (Belçim Bilgin), die im kurdischen Teil des Iran in einem Guerilla-Camp Kinder unterrichtet und deren Hochzeit von einem Flugzeugangriff unterbrochen wird.
„Dol“ ist ein Film, der keine Zweifel an seiner politischen Botschaft lässt. Als Jugendlicher flüchtete Hiner Saleem aus dem Irak, sein Vater leistete bewaffneten Widerstand gegen die Baath-Diktatur. Dennoch macht der Film nicht einfach Propaganda für die kurdische Sache. Dafür ist Saleem in seinem fünften Spielfilm viel zu sehr am Austarieren der Gegensätze interessiert: Immer wieder findet der Film zu Bildern, die sorgfältig arrangierte Kompositionen aus Landschaft, Personen und Blickrichtungen sind. Demgegenüber steht ein Wille, Figuren und ihre Handlungen betont künstlich zu choreografieren, was mitunter gezielt ins Absurde gleitet – etwa in der Szene einer Versammlung von Männern und Frauen, die sich auf engstem Raum unmittelbar gegenübersitzen und nicht in die Augen schauen.
So trotzt Saleem dem ernsten Sujet seines Films immer wieder Momente des Irrealen, gar des Komischen ab. Es sind diese Momente, die einen die arg schematische Anlage des Films verzeihen lassen. DIETMAR KAMMERER
„Dol – das Tal der Trommeln“. R.: Hiner Saleem. Mit Nazmî Kirik u. a., 88 Min.