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Archiv-Artikel

das wort zum sonnabend Horror vacui

Tief eingetaucht ist Kristo Šagor in Bremens Mixtur aus Nordischem und Klein Berlin. Der aus Lübeck stammende Dramatiker, Jahrgang 1976, ist Hausautor am Bremer Theater. Für die taz holt er jeden Samstag Perlen aus dem hanseatischen Schlick. Heute aber ist er unterwegs in Österreich.

Egal, wie schön die Stadt ist, im nächtlichen Hotelzimmer wird sie zum Monster. Ich habe meine Duftmarke an alle Möbelstücke gesetzt: die Klamotten über den Sessel, der Krimskrams auf den Schreibtisch, die Zeitschriften auf den Nachttisch und mein Bauch vor dem Laptop auf das Bett, vergeblicher Gegenzauber. In meinem Rücken die Glotze mit Videoclips als einziger Alternative zu Dauerwerbung und Telefonporno. Lieder von Interpreten, deren Namen ich noch vor zehn Jahren dankbar auswendig gelernt hätte. Ja, ich werde alt, selbstgerecht und weltfremd.

Egal, wie spärlich oder verschwenderisch das Hotelzimmer eingerichtet ist, das Monster frisst mich auf, spuckt meine Knochen aus, und alle Netze zerfallen. Ich wusste schon immer, Netze sind nur dazu da, um Löchern eine Kontur zu geben, pseudostrukturierte Leere. Das größere Teilnetz Berlin verblasst, das kleinere Teilnetz Bremen verblasst und meine fiktive Zwischenstation hier – da war doch ein Name auf dem Ortsschild – versinkt im schwarzen Nichts. Genau, Schwarz heißt der Ort. Ich stürze in die Isolation. Die Namen in meinem mobilen Telefonverzeichnis verweisen auf ferne Stimmen, alles Gespenster, kein Du weit und breit.

Die neugierige Raumpflegerin, die immer meine Zimmertür öffnet, ohne anzuklopfen, wird, ach, sieh einer an, neugierig die Tür öffnen und meine Knochen finden, ohne anzuklopfen. Einen Knochen wird sie vielleicht schön finden, wahrscheinlich meinen rechten Oberschenkelknochen, und wird ihn heimlich aufheben. Die anderen entsorgt sie in die Tonne, und weg bin ich. Ja, wie wäre das, eine Welt ohne mich? Abstrakte Strukturen, die mit sich selbst spielen, keine emphatische Perspektive, keine Geschichten. Transmission ends.

Naja, oder doch nicht. Es wird nämlich plötzlich bekannt, dass der Mensch eine gutartige Spezies ist, und ich mir keine Sorgen machen muss um mich und die anderen. Und außerdem liegen ja noch meine Knochen in der Tonne. Gut, man könnte sie zermahlen und als Staub ins Meer streuen. Aber dann fressen noch irgendwelche Fische den Staub und führen alljährlich zu meinem Geburtstag irgendwelche Formationstänze urauf. Und dann noch mein rechter Oberschenkelknochen. Von der neugierigen Raumpflegerin wahrscheinlich längst zum Mikro für ihre in ganz Tirol gefürchteten Elvis-Imitationen umfunktioniert. Oder zum Dietrich, mit dem sie nun auch Menschen in Zimmern außerhalb dieses Hotels heimsucht. Egal, wie schön die Stadt ist, im nächtlichen Hotelzimmer wird sie zum Monster. Kristo Šagor